Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Wachsende Unzufriedenheit. 515 
doch mit den Händen greifen, daß die Provinz Sachsen sich in jeder Hinsicht 
glücklicher befand als das Königreich und dort Niemand mehr ernstlich 
nach dem Rautenkranze zurückverlangte. Drüben besaß man Alles was 
hüben fehlte: eine gescheidte, schlagfertige, bürgerfreundliche Verwaltung; 
dazu ein freies Städtewesen, das von der Vetternherrschaft der kursäch— 
sischen Stadträthe seltsam abstach und daher auch an dem Sachsen Streck— 
fuß seinen eifrigsten Vertheidiger fand. Während drüben die Entlastung 
der Bauerngüter stetig fortschritt, wurden im Königreiche die bestehenden 
Grundlasten sogar noch erhöht; noch im Jahre 1828 bestimmte eine neue 
Verordnung über die Hutungen: der Hutungsleidende dürfe die Mitweide 
auf seinem eigenen Boden nur dann beanspruchen, wenn er dies Recht 
seit verjährter Zeit geübt habel 
So begann man im Lande sich nach der Städteordnung und den 
Agrargesetzen Preußens zu sehnen, und zu diesem wohlberechtigten Unmuth 
gesellte sich noch ein völlig grundloses confessionelles Mißtrauen gegen die 
ultramontane Gesinnung des königlichen Hauses. Es war der Lauf der 
Welt, daß in diesem erzlutherischen Lande, wo man einst ernstlich daran 
gedacht hatte, neben der christlichen noch eine lutherische Zeitrechnung — 
von 1517 an — einzuführen, beständig finstere Gerüchte über den katho- 
lischen Hof umgingen. Je dienstfertiger man sich sonst den Befehlen des 
Königs unterwarf, um so reizbarer ward dieser Argwohn, er blieb lange 
fast die einzige politische Leidenschaft des kursächsischen Volkes. König Anton 
war noch bigotter als sein verstorbener Bruder, der von Katholiken im 
Vertrauen zu sagen pflegte: il est de notre religion. Es kam auch 
zuweilen vor, daß irgend ein strebsamer Leutnant oder Beamter aus räthsel- 
haften Gründen zur römischen Kirche übertrat; doch solche Fälle waren 
sehr selten, nachweislich seltener als die Uebertritte von der katholischen 
zur evangelischen Kirche. Und wenn am Hofe noch von alten Zeiten her 
eine geheime Kasse zur Unterstützung von Convertiten bestand"), wenn 
einmal einer vormaligen Hofdame der Gnadengehalt entzogen wurde, weil 
sie ihre Kinder lutherisch erziehen ließ"*), so waren dies reine Privat- 
angelegenheiten des königlichen Hauses, welche den Staat nicht berührten. 
Eine planmäßige Begünstigung des Proselytenwesens haben die Albertiner 
im neunzehnten Jahrhundert immer ehrenhaft vermieden, trotz ihrer streng 
katholischen Gesinnung. Für eine jesuitische Propaganda, wie sie der neu- 
bekehrte Köthener Hof trieb, war in Dresden gar kein Boden, Niemand 
unter den hohen Beamten hätte sich dazu herbeigelassen. 
Gleichwohl wucherte der Argwohn im Volke fort und sog aus einigen 
harmlosen Vorfällen neue Nahrung. Als im Jahre 1824 das Kirchen- 
jubiläum für das nächste Jahr ausgeschrieben wurde und ein Anschlag in 
  
*) Bericht des Frhrn. v. Oelßen, 28. Dec. 1818. 
*“) Jordan's Bericht, 4. Nov. 1828. 
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