Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Hessens protestantische Politik. 519 
Soldatenverkaufs in die Fremde, das Johann Georg III. von Sachsen 
zuerst den deutschen Kleinfürsten gab, erschien nirgends verlockender als 
hier, wo das tapfere Heer der Stolz des Landes war und doch ohne aus— 
ländische Hilfsgelder nicht unterhalten werden konnte. Die Armee wurde 
eine Geldquelle für den verarmten Staat. Auf jedem Schlachtfelde Europas, 
auf Euböa wie auf den Heiden Hochschottlands, floß hessisches Blut in 
Strömen; im österreichischen Erbfolgekrieg focht ein Theil der hessischen 
Truppen in den Heeren Kaiser Karl's VII., während die andere Hälfte 
auf der Gegenseite, im Dienste des englischen Soldherrn stand. Gleich- 
wohl hielt sich das Fürstenhaus in der deutschen Politik nicht unehrenhaft 
— soweit die Hilflosigkeit der Kleinstaaterei eine politische Haltung erlaubte. 
In allen Kriegen gegen Frankreich genügte Hessen redlich seiner Reichs- 
pflicht, bei Höchstädt, bei Ramillies und Malplaquet umstrahlte neuer 
Ruhm seine sieggewohnten Fahnen, und immer kämpften die jungen Land- 
grafen ritterlich unter ihren Landsleuten. 
Im siebenjährigen Kriege erwarb sich die Dynastie ihr letztes großes 
Verdienst um Deutschland. Die Hessen bildeten neben den Hannoveranern 
den Kern der Heere, mit denen Ferdinand von Braunschweig den deutschen 
Westen gegen Frankreichs Uebermacht vertheidigte. Was dieser Krieg für 
die Zukunft des Protestantismus bedeutete, wurde von wenigen Staats- 
männern so klar erkannt, wie von dem klugen Minister F. A. v. Hardenberg, 
der immer wieder seinen greisen Landgrafen Wilhelm VIII. ermahnte, aus- 
zuharren bei dem Systeme naturel der evangelischen Reichsstände. Im 
Volke erweckten die Plünderungen der Franzosen ein kräftiges Gefühl des 
Zornes, das dem Nationalstolze nahe kam. Jeder Bauersmann wußte 
etwas von den Thaten jener langen Reihe erprobter Kriegsmänner, welche 
sein Land seit „dem kleinen Hessen“ Kurt von Boineburg bis herab auf 
Gilsa und die anderen Generale Ferdinand's von Braunschweig, in die 
deutschen Heere gestellt hatte. Von den Subsidiengeldern, welche diese 
tapferen Kriegshandwerker den Landgrafen erwarben, kam dem Lande freilich 
wenig zu gute; ungeheuere Summen verschlang die prahlerische Prunksucht 
des Hofes. Die Wasserkünste der Wilhelmshöhe mit dem riesigen Hercules 
darüber durften sich wohl mit dem Glanze von Versailles vergleichen; 
aber das stille Cassel wurde trotz seiner herrlichen Galerie und trotz der 
Bauten Du Ry's doch keine große Stadt und der neue Weserplatz Karls- 
hafen, der dem Hessenlande den Zugang zum Weltmeere eröffnen sollte, 
nicht einmal ein norddeutsches Mannheim. Immerhin zählte die Landgraf- 
schaft noch zu den bestverwalteten deutschen Kleinstaaten, das alte fürstliche 
Pflichtgefühl verleugnete sich niemals ganz, fast jederzeit lebte der Landes- 
herr mit seinen Ständen in Frieden. 
Der ganze Unsegen fürstlicher Willkür brach über Hessen — ein ver- 
hängnißvoller Anachronismus — erst nach dem siebenjährigen Kriege 
herein, eben in der Zeit, da die Uhr des alten französischen Absolutismus
	        
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