522 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
das entlegene schöne Nebenland, die Grafschaft Schaumburg an der Weser
freute sich von Herzen der wiederkehrenden alten Herrschaft, obgleich die
reichen Bauern, die dort unter den Eichen auf ihren Höfen saßen und
das Sachsenroß noch auf den Knöpfen ihrer Linnenwämser trugen, mit
den Althessen weder Stammesart noch Verfassung gemein hatten und nur
einmal wöchentlich, durch einen Postwagen, der bei Höxter regelmäßig um-
warf, aus dem fernen Cassel Nachrichten empfingen. Minder lebhaft war
die dynastische Gesinnung in dem betriebsamen Hanau, das durch Lage
und Verkehr auf Frankfurt und die Rheinlande angewiesen, in dem armen
hessischen Ackerbauländchen sich nie recht heimisch gefühlt hatte; die stark
mit französischem Blute gemischte Bevölkerung galt von Altersher für un-
ruhig und radical.
Ganz fremd stand in dem wiederhergestellten Kurstaate ein Trümmer-
stück des alten fuldaischen Bisthums, das der Kurfürst beim Friedens-
schlusse eintauschte und unter dem stolzen Namen des Großherzogthums
Fulda „mit seinen übrigen Staaten“ vereinigte. Dort war die Kirche
Eines und Alles. Mit Wehmuth erzählte das blutarme Volk noch, wie
es vormals so hoch herging in den prächtigen Rococopalästen neben dem
Grabe des heiligen Bonifacius, wie bei den Gelagen des Bischofs und
seiner Domherren der edle Johannesberger in Strömen floß, wie die Schul-
kinder sich am Palmsonntage aus dem Bauche des geweihten Palmesels ihre
Ostereier herauslangten, und der beladene kleine Mann beim Anublick der
glänzenden Processionen oder beim Genusse der Klostersuppe noch auf
Augenblicke sein Elend vergessen konnte. Auch nach der Secularisation
behauptete sich dort auf dem rauhen Rhöngebirge ein zähes katholisches
Sonderleben, keineswegs unduldsam, aber scharf abgetrennt von den Sitten
und Gedanken der protestantischen Nachbarn; selbst der Christbaum, der
doch schon längst aus den Lutherlanden seinen Weg in das katholische Deutsch-
land gefunden hatte, war in Fulda noch unbekannt. Mit Widerstreben
trat diese Herde des Krummstabs unter die Herrschaft des reformirten
Kurfürsten. Bei seinem Einzuge wurde ein überaus unehrerbietiges Lied
verbreitet: „Frohlocket, Fulder, freuet Euch, uns nahet sich das Himmelreich.
Nun wird der Held mit Helden sich begatten, wir sind nun biedre Hessen,
tapfre Katten“ u. s. w.*) Doch ein irgend ernsthafter Widerstand war nicht
zu erwarten von einem Völkchen, das binnen zehn Jahren nach einander
bischöfliches, oranisches, französisches, bergisches, frankfurtisches, österreichisches
und preußisches Regiment genossen hatte. —
Mit etwas Gerechtigkeit und Wohlwollen ließ sich kein deutsches Land
leichter regieren als dies Kurhessen. Wie war man so glücklich, der ver-
fluchten westphälischen Herrschaft endlich entledigt zu sein; aus der Hand
*) Kurzer, doch treu gemeinter Jubelsang. Fuld, 22. Mai 1816. Verfasser des
witzigen, aber unmittheilbaren Gedichts war vermuthlich der Frhr. v. Mensebach.