Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

522 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
das entlegene schöne Nebenland, die Grafschaft Schaumburg an der Weser 
freute sich von Herzen der wiederkehrenden alten Herrschaft, obgleich die 
reichen Bauern, die dort unter den Eichen auf ihren Höfen saßen und 
das Sachsenroß noch auf den Knöpfen ihrer Linnenwämser trugen, mit 
den Althessen weder Stammesart noch Verfassung gemein hatten und nur 
einmal wöchentlich, durch einen Postwagen, der bei Höxter regelmäßig um- 
warf, aus dem fernen Cassel Nachrichten empfingen. Minder lebhaft war 
die dynastische Gesinnung in dem betriebsamen Hanau, das durch Lage 
und Verkehr auf Frankfurt und die Rheinlande angewiesen, in dem armen 
hessischen Ackerbauländchen sich nie recht heimisch gefühlt hatte; die stark 
mit französischem Blute gemischte Bevölkerung galt von Altersher für un- 
ruhig und radical. 
Ganz fremd stand in dem wiederhergestellten Kurstaate ein Trümmer- 
stück des alten fuldaischen Bisthums, das der Kurfürst beim Friedens- 
schlusse eintauschte und unter dem stolzen Namen des Großherzogthums 
Fulda „mit seinen übrigen Staaten“ vereinigte. Dort war die Kirche 
Eines und Alles. Mit Wehmuth erzählte das blutarme Volk noch, wie 
es vormals so hoch herging in den prächtigen Rococopalästen neben dem 
Grabe des heiligen Bonifacius, wie bei den Gelagen des Bischofs und 
seiner Domherren der edle Johannesberger in Strömen floß, wie die Schul- 
kinder sich am Palmsonntage aus dem Bauche des geweihten Palmesels ihre 
Ostereier herauslangten, und der beladene kleine Mann beim Anublick der 
glänzenden Processionen oder beim Genusse der Klostersuppe noch auf 
Augenblicke sein Elend vergessen konnte. Auch nach der Secularisation 
behauptete sich dort auf dem rauhen Rhöngebirge ein zähes katholisches 
Sonderleben, keineswegs unduldsam, aber scharf abgetrennt von den Sitten 
und Gedanken der protestantischen Nachbarn; selbst der Christbaum, der 
doch schon längst aus den Lutherlanden seinen Weg in das katholische Deutsch- 
land gefunden hatte, war in Fulda noch unbekannt. Mit Widerstreben 
trat diese Herde des Krummstabs unter die Herrschaft des reformirten 
Kurfürsten. Bei seinem Einzuge wurde ein überaus unehrerbietiges Lied 
verbreitet: „Frohlocket, Fulder, freuet Euch, uns nahet sich das Himmelreich. 
Nun wird der Held mit Helden sich begatten, wir sind nun biedre Hessen, 
tapfre Katten“ u. s. w.*) Doch ein irgend ernsthafter Widerstand war nicht 
zu erwarten von einem Völkchen, das binnen zehn Jahren nach einander 
bischöfliches, oranisches, französisches, bergisches, frankfurtisches, österreichisches 
und preußisches Regiment genossen hatte. — 
Mit etwas Gerechtigkeit und Wohlwollen ließ sich kein deutsches Land 
leichter regieren als dies Kurhessen. Wie war man so glücklich, der ver- 
fluchten westphälischen Herrschaft endlich entledigt zu sein; aus der Hand 
  
*) Kurzer, doch treu gemeinter Jubelsang. Fuld, 22. Mai 1816. Verfasser des 
witzigen, aber unmittheilbaren Gedichts war vermuthlich der Frhr. v. Mensebach.
	        
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