Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

524 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
verdienten alten General um seine Pension zu betrügen, dann ward sein 
Dienstleben mit allerhand erlogenen Verdächtigungen bemängelt, und klagte 
Einer, daß er nur Kartoffeln zu essen habe, so hieß es kurzab: ich esse 
auch gern Kartoffeln. Der Präsenzstand der Armee wurde, da England 
keine Subsidien mehr gab, bald auf 1500 Mann (80 Mann im Bataillon) 
herabgesetzt; das Land aber mußte noch immer für 20,000 Mann Steuern 
zahlen. Um noch etwas herauszuschlagen, ließ der Kurfürst die Fuhren 
bei seinem Schloßbau durch die Pferde der Artillerie besorgen.) Selbst 
die Stiftungen waren vor den diebischen Händen des alten Herrn nicht 
sicher. Von dem Vermögen der aufgehobenen Universität Rinteln wurde 
ein Theil für das Rintelner Gymnasium, ein anderer für die Marburger 
Hochschule bestimmt und der ansehnliche Rest wieder der unersättlichen 
Kammerkasse überwiesen. Am besten fuhr noch die Judenschaft; sie ver- 
stand sich auf diesen fürstlichen Charakter, zahlte rechtzeitig eine gute Summe 
baar und erhielt dafür einige der Rechte, welche ihr der Code Napoleon 
gewährt hatte, von Neuem bestätigt. 
So waren fast alle wohlthätigen Reformen der westphälischen Herr- 
schaft beseitigt, nur ihre Härten bestanden fort und gesellten sich zu den 
wiederauflebenden Mißbräuchen der guten alten Zeit. Die Willkür war 
so empörend, daß selbst Goethe, der sonst so ungern den Klagen der 
liberalen Welt glaubte, die bitteren Verse schrieb: 
Der alte reiche Fürst 
Blieb doch vom Zeitgeist weit, 
Sehr weit! 
Wer sich aufs Geld versteht, 
Versteht sich auf die Zeit, 
Sehr auf die Zeit! 
Dazu am Hofe ewige Händel zwischen dem Kurfürsten, seinem Sohne 
und seiner Hauptmaitresse, gräuliche Wuchergeschäfte des Günstlings 
Buderus v. Carlshausen, und beständige Ungezogenheiten gegen das diplo- 
matische Corps, das sich erst durch Drohungen eine anständige Behand- 
lung erzwingen mußte. Wie gern hätte der preußische Gesandte, der gute 
alte Hänlein diesen Hof geschont, der seinem königlichen Hause so nahe 
stand; als ehrlicher Mann konnte er doch nur von Sultanslaunen und 
Unsauberkeiten berichten. Der Landesherr selbst war in seiner chnischen 
Menschenverachtung so eingerostet, daß er den Jammer ringsum gar 
nicht bemerkte. Bei einem patriotischen Feste lasen die Casseler über 
dem Portale seines Schlosses die Flammeninschrift: Der Vater seinen 
Kindern! — 
Beim Eintritt in die große Allianz hatte der Kurfürst den Groß- 
mächten versprechen müssen, seinen alten Landtag wiederherzustellen, der 
in den letzten Jahrzehnten allerdings nur noch ein Geldtag gewesen und 
  
Hänlein's Berichte, 25. Mai, 1. Juni 1818.
	        
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