Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

526 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
herrschaft, und das Landvolk wußte, daß er die Wahrheit sprach. Die 
Bauern vom Diemelstrom (131 Gemeinden) sendeten dem Landtage ihre 
Klagen über die erdrückende Steuerlast: „Die Franzosenzeiten waren schlimm, 
aber die jetzigen sind, wenn man alles Geben zusammenrechnet, noch schlimmer, 
und wenn es nicht unser lieber Kurfürst wäre, der ein Hesse ist so gut wie 
wir, so hätte das Land nicht so lange still geschwiegen.“ Dann baten sie 
kindlich, der Landtag möge untersuchen: was von dem vielen Gelde, das 
Hessen ausstehen hat, dem Lande gehört, und wohin das viele Geld, das 
wir zahlen müssen, kommt.“) Aehnliche Eingaben waren auch an den an— 
deren vier Strömen schon im Umlauf. Auch einige Offiziere wendeten 
sich im Namen ihrer Kameraden an die Stände, um über die widerrechtlich 
vorenthaltenen Gehalte Bericht zu erstatten, und selbst Hänlein fand dies 
militärisch unstatthafte Verfahren entschuldbar, da die Unglücklichen wirklich 
kaum mehr leben könnten.) 
Als die Stände nach längerer Vertagung im Februar 1816 wieder 
zusammentraten, ließ ihnen der Kurfürst eine Verfassung für den neuen 
Gesammtstaat Kurhessen-Fulda vorlegen. Ich bedarf keiner Constitution, 
sagte er dem preußischen Gesandten, aber ich will sie geben des Beispiels 
und der Folge wegen.“) Der Verfassungsentwurf, ein Werk des wohl- 
meinenden Ministers v. Schmerfeld, enthielt manche heilsame Bestim- 
mungen, nur das Eine nicht, worauf hier Alles ankam: die Absonderung 
des fürstlichen Hausgutes von dem Staatsvermögen. In den lebhaften 
Verhandlungen, die sich nun entspannen, erklangen schon zuweilen die viel- 
deutigen Schlagworte der herrschenden constitutionellen Doktrin: man wollte 
sich „das Ideal einer glücklichen Regierungsform, die englische“ zum Muster 
nehmen, man ersetzte den Namen „Landesherrn“ zur Entrüstung des Kur- 
fürsten — durch den vernunftrechtlichen Ausdruck „Regent" und verlangte, 
daß der Regent den Verfassungseid vor der Huldigung leiste. Der beredte 
städtische Abgeordnete Robert sprach viel von einem allgemeinen Staats- 
rechte, das dem Landesrechte vorgehe. Indeß die meisten Abänderungs- 
vorschläge des Landtags lauteten durchaus verständig; und wenn er schließlich 
beantragte, „die vereinbarte Constitution“ unter die Bürgschaft von zwei 
deutschen Mächten zu stellen#), so war auch diese Forderung weder über- 
flüssig, einem solchen Fürstenhause gegenüber, noch ohne Vorgang in der 
Landesgeschichte. Hatten doch einst, als der Vater des Kurfürsten zur 
römischen Kirche übergetreten war, Preußen, die Seemächte und die skan- 
dinavischen Kronen die Gewähr übernommen für die hessische Assecura- 
tionsakte und also dem Lande seinen kirchlichen Besitzstand gesichert. 
  
*) Wünsche der Bauern am Diemelstrom, März 1816. 
*“) Hänlein's Bericht, 22. Juni 1816. 
*?“) Hänlein's Bericht, 11. Jan. 1816. 
) Bemerkungen der Stände zum Constitutions-Entwurf nebst Promemoria vom 
29. März und Adresse vom 1. April 1816.
	        
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