Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

530 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
Ehren seiner ersehnten und doch niemals errungenen Kattenkönigskrone 
begann der Kurfürst noch den Bau der Kattenburg — mit ungeheuerem 
Aufwande, der zuweilen in einer Woche bis auf 10,000 Thlr. stieg; das 
riesige, wie für ein Kaisergeschlecht bestimmte Schloß wurde aber im Lande 
als ein widerwärtiges Denkmal kleinfürstlicher Selbstüberhebung mit Un— 
muth betrachtet. 
Wenige Tage vor dem Tode des Kurfürsten hielt ihm ein aus Hessen 
gebürtiger preußischer Beamter seine Frevel vor, mit einem schonungslosen 
Freimuthe, der an den kleinen Höfen unfaßbar schien. Es war Motz, damals 
Präsident in Erfurt. Der hatte sich für seinen Oheim, einen alten, will— 
kürlich der Pension beraubten General, verwendet, und als er die übliche 
Antwort empfing, die sieben Jahre der westphälischen Herrschaft würden 
nicht anerkannt, da scheute er sich nicht, dem alten Herrn den Namen des 
Siebenschläfers, der im Lande überall umlief, ins Gesicht zu schleudern. 
Die Unterthanen und die Diener des Kurfürsten, so schrieb er, wären sehr 
glücklich zu preisen, wenn sie dasselbe von sich sagen könnten, „wenn sie 
mit Frau und Kindern in einen siebenjährigen Schlaf verfallen und auf 
diese Weise nur zu neuen Dienstleistungen für Ew. K. Hoheit erstarkt, unter 
den veränderten Verhältnissen hätten wieder erwachen können". Dann 
fuhr er fort: „Ew. K. H. sind reich, Ihre Diener und Unterthanen arm“ 
und forderte den alten Sünder auf, noch am Abend seines Lebens einen 
würdigen Gebrauch zu machen von seinen reichen Glücksgütern und die 
Noth des treuen Hessenvolks zu lindern, bevor er erscheinen müsse „vor 
dem Herrn über uns Alle, der auch den Mächtigen der Erde den Stuhl 
bereitet“. ) So urtheilte der größte politische Kopf, den Kurhessen zur Zeit 
besaß, über das Treiben dieses Fürsten. Als Wilhelm I. bald nachher, im 
Februar 1821, starb, fand sich in seinem Nachlaß ein politisches Testament, 
das den Thronfolger ermahnte, immerdar als ein wahrer Selbstherrscher 
zu regieren. — 
Die Mahnung war kaum nöthig. Noch fester als bisher verketteten 
sich unter der neuen Regierung die Schicksale des Landes mit den per- 
sönlichen Verhältnissen des Fürstenhauses. Kurfürst Wilhelm II. war von 
Natur weder dumm noch bösartig, aber schlecht erzogen, ohne Sinn für 
geistiges Leben, unfähig sein wildes Blut zu zügeln, ein gewöhnlicher Lebe- 
mann und Paradesoldat. Nun wollte sein Unstern, daß er noch bei Leb- 
zeiten des Vaters unter die Herrschaft eines gemeinen Weibes, Emilie 
Ortlöpp aus Berlin, gerieth und um ihretwillen seine edle Gemahlin 
Auguste, eine Schwester des Königs von Preußen roh beleidigte. Mit seiner 
Thronbesteigung begann ein Dirnenregiment, beispiellos in der Geschichte 
des neuen Jahrhunderts. Kaum hatte ein prunkender Leichenzug, der 
schwarze Ritter des Hauses Hessen voran, den Sarg des alten Herrn auf 
  
*) Motz an Kurfürst Wilhelm, 22. Jan. 1821. S. Beilage 14.
	        
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