Die Adelsherrschaft. 539
diese denkwürdige Vereinigung der calenberg-grubenhagischen Nation in
demselben gesegneten Jahre 1801 vollendet wurde, das auch die Union
von Großbritannien und Irland zu Stande brachte.
An politischen Talenten litten die niedersächsischen Lande niemals
Mangel. Während Schwaben und Obersachsen durch eine Fülle schrift—
stellerischer Größen glänzten, lag hier die nüchterne Prosa in der Luft.
Das alte Sprichwort Frisia non cantat galt auch von dem Hinterlande
der friesischen Küste; außer Hölty haben die altwelfischen Lande den Deut—
schen nie einen namhaften Dichter geschenkt. In der höheren Gesellschaft
herrschte, gefördert durch den Verkehr mit England, ein Ton langweiliger
Anständigkeit, der dem heiteren Spiele der Kunst nicht günstig war; auch
die Volkssprache mit ihrem schwerfälligen mek und dek klang breit und
unschön neben dem kosenden, neckischgemüthlichen mi und di der Nachbarn
in Holstein und Mecklenburg. Aber so weit einst die mittelhochdeutsche
Dichtung die niederdeutsche überragte, ebenso hoch stand der Sachsenspiegel
über dem Schwabenspiegel, und so selten in jenen literarisch fruchtbarsten
deutschen Landen, in Schwaben und Obersachsen, die staatsmännischen
Köpfe erschienen, ebenso häufig traten sie in der Geschichte Niedersachsens
auf. Alles was ein Volk für die Kämpfe des Staatslebens ausrüstet,
strenges Rechtsgefühl und ausdauernde Willenskraft, Tapferkeit und Frei—
muth, gesunder Menschenverstand und ein sicherer Blick für das Wirkliche,
war den Niedersachsen in die Wiege gebunden. Die politische Begabung
des Stammes bewährte sich nicht bloß in den großen Tagen der Sachsen—
kaiser und der welfisch-ghibellinischen Kämpfe, sondern auch nachher in den
Zeilen des kleinfürstlichen Stilllebens. Ein Spittler hielt sich nicht zu
gut die Geschichte von Calenberg zu schreiben, denn kein anderes deutsches
Land von gleichem Umfang konnte unter seinen Beamten so viele gewiegte
Juristen und kluge Geschäftsmänner aufweisen, wie alle diese welfischen
Kanzler und Geheimen Räthe Jagemann, Schwartzkopf, Lampadius, Kipius,
Ludolf Hugo, Struben, Bernstorff, Grote, Bothmer, Münchhausen.
Und doch, wie unfruchtbar erschien das politische Leben dieses tüch-
tigen Stammes unter dem zwitterhaften Regimente einer Monarchie ohne
Monarchen. Der kostspielige Hof mit seiner Schaar von Hofmarschällen
und Kammerherren blieb erhalten, weil man den Adel nicht aus dem
Lande treiben und den Bürgern der Hauptstadt den Verdienst nicht ver-
kümmern wollte. Jahr für Jahr fuhr der Adel, die Damen alle mit dem
Abzeichen ihres Standes, der Straußenfeder geschmückt, an den Galatagen
hinaus nach Herrenhausen, um in feierlicher Cour dem abwesenden Könige
zu huldigen. Aber die lebendige Kraft des monarchischen Willens ging ver-
loren. Georg III. betrat sein Stammland niemals mehr, und bald glaubte
man im Volke allgemein, es sei verboten, Beschwerden an den unsicht-
baren Landesherrn zu richten. Von dem Geheimen Rathe, der mit fast
unbeschränkter Vollmacht die Regierung führte, wurden die in der älteren