Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

540 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
welfischen Geschichte hoch angesehenen bürgerlichen Beamten allmählich 
ausgeschlossen; die obersten Staatswürden blieben den verschwiegerten 
Adelsgeschlechtern der Platen, Grote, Münchhausen, Bremer vorbehalten. 
Die Arbeitslast des Regiments dagegen trugen bürgerliche Cabinets- und 
Ministerialräthe, meist aus den „schönen Familien“ der Brandes, Patje, 
Rehberg, Hoppenstedt, fast durchweg hochgebildete, geschäftskundige Männer, 
deren Ueberlegenheit der welfische Edelmann selber stillschweigend aner— 
kannte indem er von einem Vetter oder Oheim harmlos zu sagen pflegte: 
„er war Minister unter dem Cabinetsrath Rehberg“. Die streng conser— 
vative Gesinnung, welche dies bürgerliche „Secretariat“ mit dem Adel 
theilte, konnte doch nicht verhindern, daß sich allmählich im Bürgerthum 
ein starker, berechtigter Groll gegen die bevorzugten Edelleute ansammelte. 
Die Regierung war mild, da sie aus dem Vollen wirthschaftete und der 
fiscalischen Strenge der preußischen Verwaltung nicht bedurfte; sie bewies 
durch die großartige Stiftung der Georgia Augusta, wie hoch sie die idealen 
Güter des Lebens schätzte. Doch der heilige Grundsatz, keine Ombrage zu 
erregen, ward auch im Innern ängstlich gewahrt. Allen Potentaten durfte 
Schlözer in seinen Staatsanzeigen die Wahrheit sagen; erst als er sich 
unterstand Mißbräuche im kurhannoverschen Postwesen zu rügen, ward 
ihm die Censurfreiheit genommen. Hardenberg's Jugendfreund, Freiherr 
v. Berlepsch, derselbe der späterhin gegen den Sultanismus des hessischen 
Kurfürsten auftrat, wurde gar abgesetzt und willkürlich des Landes ver— 
wiesen, weil er im Landtage die Schwächen des Adelsregiments schonungs- 
los aufgedeckt und die Neutralität der calenbergischen Nation während der 
Revolutionskriege gefordert hatte. 
Selbst unter dieser wohlwollenden Regierung verleugnete der alt— 
ständische Staat nicht die Ungerechtigkeit, die ihn überall in Deutschland 
mit dem Hasse des Volks belud. Die allerdings mäßigen Staatslasten 
lagen fast ausschließlich auf den Schultern der Kleinbürger und der Bauern. 
Um keinen Preis wollte der Calenbergische Adel die einzige schwere Ab— 
gabe, die er eine Zeit lang getragen hatte, den Zehnt- und Scheffelschatz 
wiederherstellen, denn sonst wäre die Landesschuld abgetragen worden und 
damit die einträgliche Schuldenverwaltung der Landstände hinweggefallen. 
In der Finanzverwaltung der Landtagsausschüsse blühten alle Sünden 
des altständischen Regiments: Nepotismus, Heimlichkeit, Sinecuren- 
Unwesen. Siebzig Jahre lang blieb es den Ständen Calenbergs verborgen, 
daß ihr Ausschuß dem ersten Georg 300,000 Thlr. gezahlt hatte um ihm 
zur englischen Krone zu verhelfen. In der deutschen Politik war die 
Eifersucht auf Preußen der leitende Gedanke des hannoverschen Geheimen 
Raths, obgleich die Natur der Dinge zuweilen ein Bündniß zwischen den 
Nachbarstaaten erzwang. Der welfische Stolz vermochte gar nicht einzu- 
sehen, warum dies gründlich verachtete arme Nachbarland in den deutschen 
Händeln so viel mehr galt als das vornehme England-Hannover. Auch
	        
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