Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Wiederherstellung Hannovers. 541 
empfand man lebhaft den scharfen Gegensatz der Staatsgedanken: die alt— 
ständische Behäbigkeit verwünschte das gemeine Recht der modernen Mon— 
archie als „militärischen Despotismus“. Als der junge Hardenberg im 
Calenberger Landtage mit den Vorurtheilen seiner Standesgenossen ver— 
geblich gekämpft und dann im Staatsdienste die Gebrechen dieses Gemein— 
wesens näher kennen gelernt hatte, sprach er dem Könige Georg III. frei— 
müthig aus, eine Reform sei hier nur möglich durch das persönliche Ein— 
greifen des anwesenden Monarchen. 
Der Rath ward mißachtet, und als Hannover bald darauf — wieder 
um Englands willen — von Bonaparte's Truppen angegriffen wurde, 
da war das Adelsregiment abermals nur darauf bedacht Ombrage zu ver— 
meiden und überlieferte das tapfere Land ohne Schwertstreich dem Feinde. 
Aber in der glorreichen Deutschen Legion lebten Hannovers Heer und 
Staat fort, denn kein Staat ist vernichtet so lange er sich noch schlägt; 
und mit besserem Rechte als der Kurfürst von Hessen konnten die Welfen 
nach ihrer Wiederherstellung behaupten, daß die Fremdherrschaft hier nur 
ein rechtswidriger Zwischenzustand gewesen sei. Die Befreiung des Landes 
erfolgte allein durch die Heere der Verbündeten; dagegen hielt sich Han— 
nover sehr rühmlich in dem Feldzuge von 1815, und mit stolzer Zuver— 
sicht blickten die Althannoveraner in die Zukunft ihres neuen Königreichs. 
Nüchterne Beobachter konnten freilich nicht verkennen, daß sich der ver— 
größerte Welfenstaat, gleich dem anderen Staatsgebilde der englischen 
Diplomatie, dem Königreich der Vereinigten Niederlande, auf der Land— 
karte weit kräftiger ausnahm als in der Wirklichkeit. Die Hoffnung des 
Londoner Hofes, in diesen beiden Tochterstaaten den englischen Interessen 
ein weites Machtgebiet auf dem Festlande zu sichern, erwies sich bald als 
ein Irrthum, da Holland selbstgenügsam seines eigenen Weges ging. Das 
Königreich Hannover war, trotz der langen Grenzlinie gegen Holland, ein 
deutscher Kleinstaat wie andere auch, und trotz seiner 700 Geviertmeilen 
volkswirthschaftlich ungleich schwächer als das kleine Königreich Sachsen, 
da der weite Raum nur von 1,1 Mill. Menschen bewohnt wurde, zwei 
Fünftel des Bodens als Heide, Moor und Gemeinweide unbebaut lagen. 
Die altwelfischen Gebiete empfingen durch Hildesheim und Goslar 
die längst ersehnte Abrundung, obwohl das Göttinger Land noch immer 
durch einen braunschweigischen Streifen davon geschieden blieb. Aber neben 
dieser leidlich geschlossenen Masse lag völlig abgetrennt die neu erworbene 
Westhälfte des Königreichs, das friesisch-westphälische Land an der Ems 
und Hase, das durch Verkehr und Geschichte auf das preußische West- 
phalen angewiesen, mit dem Welfenlande nur auf der Landkarte durch 
den schmalen Sumpfstrich am Dümmersee scheinbar verbunden war. Keiner 
der neuen Landestheile trat gern unter das welfische Scepter. In Hildes- 
heim stand die kurze Zeit des preußischen Regiments, das so kräftig und 
maßvoll mit der Erbschaft des Krummstabs aufgeräumt hatte, bei der
	        
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