Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

542 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
lutherischen Mehrheit der Bürgerschaft noch in gutem Andenken. Die 
treue Ghibellinenstadt Goslar war von jeher, wie ihr Wappenspruch sagte, 
sonder Wahn dem heiligen Reiche zugethan und den Welfen verfeindet. 
Auch in Osnabrück, das hundertundfünfzig Jahre lang abwechselnd von 
katholischen Bischöfen und von welfischen Prinzen regiert worden war, 
hatte sich Kurhamnover wenig Freunde erworben; die stolze, ihrer uralten 
Geschichte frohe Commune fühlte sich als ein Staat im Staate, noch in den 
fünfziger Jahren wurden „die hannöverschen Kinder“ der Offiziere und 
Beamten von den eingebornen Westphälingern in den Schulen wie Ein- 
dringlinge angesehen. Nun gar die tapfern Preußen in Ostfriesland 
wollten, zum Erstaunen der welfischen Beamten, schlechterdings nicht be- 
greifen, daß die Vereinigung mit Hannover für sie ein Segen und selbst eine 
Standeserhöhung sein sollte; sie stemmten sich mit friesischer Hartnäckig- 
keit gegen die neue Regierung und setzten durch, daß ihnen mit allen 
ihren alten Landesbräuchen auch das Preußische Landrecht erhalten blieb. 
Ein Glück nur, daß der lutherische Welfenstaat von seinen neuen katho- 
lischen Unterthanen keine kirchliche Feindseligkeit zu befürchten hatte. Die 
Katholiken in Osnabrück und Hildesheim waren gläubig, aber durch die 
protestantische Nachbarschaft an Duldsamkeit gewöhnt und hatten sogar 
nach dem Vorbilde der Lutheraner den deutschen Gemeindegesang in ihren 
Cultus aufgenommen. Nur das blutarme Volk im oberen Emslande, die 
vielverspotteten Muffrikaner, die von mühsam gedämpften Sanddünen oder 
aus verbranntem Moorboden ihre kärglichen Ernten gewannen, und die 
nicht minder armen Kleinbauern im Eichsfelde standen ganz unter der 
Leitung des Clerus, der sich aber auch hier noch behutsam zurückhielt. — 
Wie künstlich dieser Staat auch zusammengesetzt war, eine gerechte 
monarchische Gewalt, die sich der belasteten kleinen Leute wohlwollend an- 
nahm, konnte der centrifugalen Kräfte wohl Herr werden. Dies forderte 
E. M. Arndt in einem scharfen Aufsatze seines „Wächters“ (1815). Er 
kannte die Sünden der satten altständischen Behaglichkeit von seiner schwe- 
disch-pommerschen Heimath her und rief den Hannoveranern zu: dann erst 
sollten sie sich Halb-Engländer nennen, wenn sie nach englischer Weise 
dem Verdienste sein Recht gewährten und auch den Bauernsohn zu den 
Staatswürden aufsteigen ließen. „Die Welt ist keine Mastanstalt", so 
schloß er derb und ehrlich, „und die Menschen sind kein Vieh, das in die Mast 
getrieben und fett gemacht werden soll.“ Solche Rathschläge würde der 
geisteskranke König Georg III. selbst in seinen gesunden Tagen kaum ver- 
standen haben. Der hatte einst den letzten vergeblichen Versuch gewagt, in 
England ein persönliches Regiment zu führen, und dann durch den Eigen- 
sinn seines beschränkten Kopfes den Abfall der amerikanischen Colonien 
befördert, die Emancipation der Katholiken und die anderen Reformpläne 
des jüngeren Pitt hintertrieben. Von der Heimath seiner Bäter wußte 
er sehr wenig; er rühmte sich des Namens eines Briten, wie er schon in
	        
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