544 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
Cumberland verliehen, der das Land im Herbst 1813 für den König in
Besitz genommen hatte, sondern dem gefügigen jüngeren Bruder, dem Herzog
von Cambridge. Dieser mäßig begabte, gutmüthige Prinz bezauberte alle
Herzen durch seine Leutseligkeit, er mußte aber späterhin selber gestehen,
daß ihm die Zustände und Stimmungen in Hannover fünfzehn Jahre
hindurch ganz unbekannt geblieben seien.
Graf Münster blieb sein Leben lang von der Unübertrefflichkeit der
althannoverschen Institutionen tief überzeugt. Ganz mit Unrecht war er
zur Zeit des Wiener Congresses in den Ruf liberaler Gesinnung gekommen,
weil er das Repräsentativsystem, das in Deutschland zu allen Zeiten
Rechtens gewesen, gegen die sultanischen Gelüste der Rheinbundsfürsten
vertheidigt hatte. Ebenso grundlos ward er nachher des Gesinnungswechsels
beschuldigt, als er sich in Karlsbad für die deutschrechtlichen Landstände und
gegen die ausländischen Repräsentativverfassungen erklärte. In Wahrheit
hatte er auch in Wien unter dem deutschen Repräsentativsystem nur seine
welfischen Landtage verstanden. Da in Hannover wie in England der
Adel regierte, so fand Münster keinen wesentlichen Unterschied zwischen
den Verfassungen dieser beiden Welfenlande; seine dilettantenhafte poli-
tische Bildung reichte nicht weit genug um zu erkennen, daß drüben das
gemeine Recht herrschte, hüben eine starre ständische Gliederung. Nach dem
Veroneser Congresse schrieb er dem Bundesgesandten Hammerstein: der
König von Hannover werde sich, was auch das englische Cabinet beschließen
möge, niemals von den verbündeten Mächten trennen; die vernünftige
Freiheit in Hannover entspreche durchaus den Grundsätzen der großen
Allianz.-) Einige Jahre darauf ward der welfische Staatsmann noch ein-
mal um seines Freisinns willen hochgepriesen, weil er in seinen Depeschen
an den Gesandten in Wien (1826) die maßlose Reaktionspolitik Metter-
nich's scharf tadelte. „Muß man denn“, so fragte er, „um das monarchische
System aufrechtzuhalten, ein Absolutist werden, ein Vertheidiger aller
Mißbräuche und der erbitterte Feind alles dessen, was einer Bürgschaft
gegen die Willkürgewalt ähnlich sieht?" Metternich wehrte sich in einer
hochmüthigen Erwiderung; Hatzfeldt schrieb wüthend, etwas so Grobes
und Revolutionäres habe er noch nie gelesen, und auch Bernstorff
äußerte sein Befremden über den unbegreiflichen Angriff. *7) Indeß die
flüchtige Aufwallung blieb ohne Folgen; sie entsprang nicht einem tiefen
Gegensatze der Gesinnung, sondern persönlicher Gereiztheit. Als Münster
jene Depeschen schrieb, war er mit Herzog Karl von Braunschweig,
dem Schützling Metternich's, in Händel verwickelt und zudem über
die türkenfreundliche Haltung der Hofburg erbittert, da er der Ueber-
legenheit Canning's nicht ganz zu widerstehen vermochte. Im Grunde des
*) Blittersdorff's Bericht, 8. April 1823.
..) Hatzfeldt's Bericht, 11.Dec. 1826; Bernstorff, Weisung an Hatzfeldt, 15.Janu. 1827.