546 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
Das altständische Wesen war aber in Niedersachsen dermaßen ins
Kraut geschossen, daß selbst Münster und dieser sein conservativer Rath—
geber sich gezwungen sahen behutsam in der Wildniß zu roden. Am
12. August 1814 wurden durch königliche Verordnung „die sämmtlichen
Stände aller zum Kurfürstenthum gehörigen Staaten“ berufen, Vertreter
zu einer allgemeinen Ständeversammlung zu senden. Es war ein noth—
wendiger Entschluß — denn wie hätte der Prinzregent sich mit den Trüm—
mern von etwa vierzehn Landtagen über ihre Vereinigung verständigen
sollen? — aber ein gefährlicher Rechtsbruch. Indem man die alten Land—
stände anerkannte und doch ihre Zustimmung nicht einholte, gab man ihnen
selber einen Vorwand die Rechtmäßigkeit der neuen Ordnung anzuzweifeln.
Der Landtag bestand nach Zutritt der neuen Provinzen aus 8 Prälaten,
48 Rittern, 38 Vertretern der Städte. Da die Ostfriesen sich das alte
Recht ihres „dritten Standes“ nicht nehmen ließen, so wurden noch fünf
Vertreter der ostfriesischen Bauernschaft und drei freie Bauern aus an-
deren Landschaften berufen. Diese acht Stimmen sollten einem Bauern-
stande genügen, der von dem Acker= und Forstlande des Königreichs etwa
drei Viertel besaß; denn nach der altwelfischen, auch von Rehberg getheil-
ten Rechtsansicht wurde der bäuerliche Hintersasse durch seinen Gutsherrn
vertreten, und erst vor wenigen Jahrzehnten hatte das Reichskammergericht
dem klagenden Hildesheimer Landvolke die Belehrung ertheilt, ein Bauern-
stand sei in der deutschen Verfassung unerfindlich. —
Am 15. December wurde der Landtag eröffnet, mit all der Ruhm-
redigkeit, welche die hannoversche Krone gleich der bairischen auszeichnete.
Die Thronrede hob hervor, daß der Prinzregent durch die Einberufung
seiner Stände allen deutschen Fürsten ein Beispiel gebe. Der Präsident
Graf Schulenburg erwiderte Namens der Stände, durch England seien die
großen Mächte bewogen worden Deutschland die Freiheit wiederzugeben,
und jetzt werde „von dem britischen Throne das heilige Feuer ausgehen,
welches ein Volk entzündet der Freiheit werth zu sein“. Dann versicherte
der Herzog von Cambridge nochmals: dieser Landtag sei berufen, dem Prinz-
regenten „das zu sein was in dem mit uns verschwisterten Großbritannien
das Parlament ist: ein hoher Rath der Nation“. Vollständig wurde der
Reiz dieser drei Prachtreden nur von den Eingeweihten genossen, die ein-
ander zuflüsterten, daß alle drei aus Rehberg's fleißiger Feder entsprungen
seien. Auch im Landtage bemühte man sich nach Kräften, englische Formen
nachzuahmen; man sprach von dem Hause, von dem geehrten Redner gegen-
über, von der Ministerpartei und der Opposition. Der Inhalt der Verhand-
lungen unterschied sich freilich nur wenig von dem gewohnten Stillleben
altständischer Versammlungen; sogar die Oeffentlichkeit der Berathung,
welche Rehberg selbst empfahl, wollte der Landtag nicht zugeben.
Indeß kam doch eine wichtige Reform zu Stande: die gesammten
Schulden und Stenern der Landschaften wurden in eine Masse geworfen