Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

582 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
kriege, da der Ertrag der Zölle sich vervierfacht, die Häusermiethe sich ver- 
achtfacht hatte und die Zahl der eingelaufenen Schiffe in acht Jahren 
von 1504 auf 1960 gestiegen war. Zudem war Hamburg eine Stadt 
des Genusses — in scharfem Gegensatze zu dem ehrbar nüchternen Bremen. 
Die Reize seiner Austerkeller, die Schaubuden und Tanzsäle des Ham- 
burger Bergs lockten weither aus Niederdeutschland Vergnügungslustige 
herbei; der reichsstädtische Freiheitsstolz seiner Bürger war von jeher mit 
einem Gefühle angenehmer Sättigung unzertrennlich verbunden. Ein Lied, 
das in den glücklichen Zeiten der Neutralität viel gesungen wurde, rühmte: 
Wir sind ganz frei! Wir klirren nicht mit Ketten 
Des Elends und der klaverei. 
Wir ruhen sanft auf federreichen Betten 
Und achten nicht der Tyrannei. 
Wir sind ganz frei! 
Durch die Heimsuchungen der Fremdherrschaft wurde dies selbstgenüg- 
same Bürgerthum dann sehr fühlbar an sein großes Vaterland erinnert. 
Bei der Befreiung im Frühjahr 1813 regte sich mächtig das deutsche Blut, 
der wackere Mettlerkamp und die hanseatische Legion schlugen sich nach 
alter Hansenart, aber die Schlaffheit des kaufmännischen Regiments war 
den Anforderungen des kriegerischen Zeitalters nicht gewachsen. In zehn 
kostbaren Wochen that der wiederhergestellte Senat sehr wenig für die 
Vertheidigung des Platzes, die befreite Stadt gerieth noch einmal unter 
das französische Joch, und mit Recht sagte Niebuhr, selber ein Holste: 
mit dem tiefen Ernst der preußischen Anstrengungen dürfe die Hamburger 
Erhebung nicht verglichen werden. Unbarmherzig hielt er in einem 
schönen Aufsatze des Preußischen Correspondenten dieser staatlosen Bürger- 
herrlichkeit den Spiegel vor: „Schon längst hatte Hamburg wie alle seine 
Schwestern kein anderes als ein gefristetes Leben ohne alle politischen 
Regungen gehabt. Solche Bürgerschaften waren mit dem Glücke des 
Schilfes sehr zufrieden und sahen es als ein Vorrecht an sich vor dem 
Winde zu beugen. Männlichkeit besteht nur bei den Bürgern eines Staates 
voll freien Lebens, der als Gesammtheit mit eigener Kraft sich behaupten 
kann.“ Er wagte die dem Particularismus so widerwärtige Wahrheit 
auszusprechen, Bristol und Liverpool würden als abgesonderte Städte tief 
unter dem stehen, was sie jetzt als freie Municipalstädte seien, und ver- 
hehlte nicht seine Herzensmeinung, daß Hamburg und Schleswigholstein 
nur unter Preußens Herrschaft zur vollen Entwicklung ihrer natürlichen 
Kräfte gelangen könnten. 
Die kühnen Gedanken des Historikers eilten der Zeit weit voraus. 
Die freie Stadt wurde mitsammt ihrem alten Gebiete wiederhergestellt, 
und jeder Hamburger pries diese Wendung obgleich sich der Unsegen 
der deutschen Vielstaaterei grade hier mit Händen greifen ließ. Noch 
abenteuerlicher fast als in der Frankfurter Gegend liefen die Landesgrenzen
	        
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