Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

584 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. 
Nachsicht gegen die öffentliche Unzucht und die Grobheit ihrer bestechlichen 
Unterbeamten genossen weithin in der Nachbarschaft eines schlimmen Rufes. 
In ganz Deutschland gab es keinen so ganz unbeschränkten Gewalthaber, 
wie jenen Senator, der als Proconsul in dem schönen alten Schlosse von 
Ritzebüttel hauste und die Elbmündung durch eine Batterie unbrauchbarer 
Kanonen bewachte. 
Hamburg war wie Bremen erst durch die Reformation, durch die 
mächtige Persönlichkeit Johann Bugenhagen's, in die geistige Arbeit der 
Nation eingeführt worden und hatte dann, durch Hagedorn und Brockes, 
und wieder durch Klopstock, Reimarus, Lessing, an Deutschlands literari- 
schem Schaffen rühmlich theilgenommen. Aber diese Tage des geistigen 
Glanzes kehrten nicht zurück. Die wiederbefreite Stadt ging ganz im 
Geschäft und Vergnügen auf. Den herrlichen Sammlungen, mit denen 
Senckenberg und Städel ihr Frankfurt schmückten, konnte sie nichts an die 
Seite stellen. Ihr altes Johanneum blühte, doch das Volksschulwesen lag 
darnieder, nicht einmal die allgemeine Schulpflicht war eingeführt. Für 
den Handel freilich sorgte die Republik mit Einsicht. Im Senate saßen 
neben dem ehrwürdigen alten Bürgermeister Bartels noch viele andere 
ausgezeichnete Geschäftsmänner, wie Abendroth, Hudtwalker, Sieveking. 
Der alte Gemeinsinn der Bürgerschaft bewährte sich wieder in zahlreichen 
nützlichen Stiftungen, und mit dem wachsenden Reichthum kehrte auch die 
alte particularistische Selbstgefälligkeit zurück. 
Am lautesten äußerte sich die vaterstädtische Begeisterung bei den 
Uebungen des „Bürgermilitärs“-, das aus sieben Linien-Bataillonen, 
Jägern, Reitern und Artillerie bestand und mit grenzenloser Verachtung 
auf „die Hanscaten", die armen Teufel des stehenden Heeres hernieder- 
blickte. Welch ein Fest, wenn am Morgen die Trommler ihr „Kamerad 
komm“ durch die Straßen ertönen ließen und dann der regierende Bürger- 
meister — „der hohe Herr" hieß er beim Volke — mit Dreimaster und 
Galanteriedegen feierlich angethan, draußen vor den Thoren die große 
Heerschau über das Bürgerheer abhielt; nach einem ungeheuren Zech- 
gelage wälzten sich schließlich die Bataillone wieder zur Stadt herein, die 
meisten Krieger stark angetrunken, manche auch mit einer Marketenderin 
am Arme, nebenher die Straßenjugend, die nach der Melodie „bringt dat 
Swin na'n Swinmarkt hen“ das stolze Nationallied sang: „De Ham- 
borgers hebbt den Sieg gewunnen, ho ho, ho hol!“ Unbedenklich war es 
doch nicht, daß in der dritten Stadt des deutschen Bundes das edle Hand- 
werk der Waffen so undeutsch, so ganz nach der Weise der geldstolzen 
Pariser Bourgeoisie behandelt wurde: für die Armen der Ernst und die 
Last der Landesvertheidigung, für die Wohlhabenden die behagliche Spielerei 
der Nationalgardel 
Von Deutschland war bei diesen Bürgerfesten nie die Rede. Und 
doch ließ sich nicht verkennen, wie eng der Reichthum des großen Handels-
	        
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