Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Erster Landtag. Kirchenpolitik. 609 
bar bestimmt war, das Ansehen des Geburtsadels herabzubringen, blieb 
als bairische Eigenthümlichkeit erhalten. 
Deutlicher als in den Ständeverhandlungen zeigten sich die Folgen 
des Thronwechsels in dem geistigen Leben des Landes. In der Welt der 
Ideen und der Träume war dem neuen König am wohlsten, der von sich 
selber sagte: 
Sehnen will ich und schwärmen und träumen, 
Phantasie nur befriedigt, entzückt. 
Er hob die Preßverordnung auf, die einst nach den Karlsbader Beschlüssen 
erschienen war, und obwohl die Censur für politische Zeitschriften fortbe— 
stand, so wurde sie doch in diesen ersten vertrauensvollen Jahren mild 
gehandhabt; freimüthige Urtheile über das Verfahren der einheimischen 
Behörden sollten Jedem unverwehrt sein. Auch die Kirche sollte fortan 
größerer Freiheit genießen als unter der aufgeklärt-bureaukratischen Re— 
gierung des Vaters. Der gläubige Sohn stellte die alten Hausbräuche 
der Wittelsbacher wieder her, wusch am Grünen Donnerstag den Armen 
die Füße, schritt andächtig mit in der Frohnleichnams-Procession; er gab 
der Hauptstadt das alte Wappen wieder, das ihr Montgelas einst ge— 
nommen hatte, weil das Münchener Männlein leider ein unaufgeklärtes 
Mönchlein war; er erlaubte den Ober-Ammergauer Bauern die bisher 
ebenfalls verbotene Aufführung ihres schönen alten Passionsspieles, und 
beeilte sich die noch unausgeführten Versprechungen des Concordats ein— 
zulösen. Sofort wurden acht Manns- und vier Nonnenklöster wiederher— 
gestellt, zuerst Karl's des Großen ehrwürdige Stiftung, die Benediktinerabtei 
Metten an der Donau. Nach und nach mehrte sich die Zahl. Mit Ver— 
wunderung sahen die Münchener wieder die Benediktiner, Kapuziner, Fran- 
ziskaner, die lange ganz verschollen gewesen, durch die Straßen ziehen. 
Den Bauern aber gereichte es zur Beruhigung, daß sie das Ignazi-Wasser, 
das Quirinus- und Walpurgis-Oel, die Lukaszettel, sowie die anderen 
landesüblichen Wundermittel nunmehr wieder aus der Hand geweihter 
Gottesmänner kaufen konnten. Bald ging der König sogar über die Vor— 
schriften des Concordats hinaus, indem er außer dem verheißenen Priester— 
seminar auch zwei Knabenseminare einrichten ließ; er wollte fromme Priester, 
die den letzten Bodensatz des Illuminatenthums aus dem gläubigen Baier— 
lande hinausfegen sollten, und bemerkte nicht, wie fremd der Nachwuchs 
des Clerus dem Vaterlande werden mußte, wenn man ihn schon in zarter 
Jugend von der bürgerlichen Gesellschaft absperrte. 
An die Spitze des protestantischen Consistoriums wurde der Schwabe 
Roth gestellt, ein strenger Orthodoxer, der die Ultramontanen als will— 
kommene Bundesgenossen gegen den rationalistischen Unglauben ansah. 
Seit die Königin Wittwe nach Würzburg ziehen mußte, verlor ihr Hof— 
prediger, der versöhnliche Schmitt, seinen Einfluß, und das harte, der 
Union feindliche Lutherthum, das in Erlangen unter den jungen Theologen 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 39
	        
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