Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

614 III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine. 
beschneiden. Die unglücklichen Zwittergebilde der Lyceen blieben bestehen 
und was das Schlimmste war, die von Thiersch beantragte Erhöhung 
der armseligen Lehrergehalte unterblieb, so daß Theologen und bald auch 
Mönche einen großen Theil der Lehrerstellen einnahmen. Dergestalt brachte 
die wohlgemeinte Reform dem bairischen Gymnasialwesen allerdings einige 
Verbesserungen, doch an das Vorbild der sächsischen Gelehrtenschulen kam 
man nicht heran. — 
Unvergleichlich glücklicher zeigte sich des Königs Hand in seinen Kunst— 
schöpfungen. Die Kunst wird von den Schwankungen des öffentlichen 
Lebens nicht so unmittelbar berührt wie die Wissenschaft, und sie fand 
auch in München einen keineswegs undankbaren Boden. Diese warm— 
herzigen, von aller kritischen Ueberklugheit unberührten Altbaiern mit ihrer 
frischen Sinnlichkeit und ihren farbenfrohen Augen bedurften nur eines 
Erweckers um wieder ebenso tüchtig bauen und bilden zu lernen, wie vor 
Zeiten als der ragende Thurm von St. Martin in Landshut und die 
schweren Massen der Münchener Frauenkirche durch bairische Meister ge— 
schaffen wurden. Die Künstler wurden hier auch meist schneller heimisch 
als die Gelehrten; seit das Mißtrauen der eingeborenen Bevölkerung sich 
allmählich milderte, fühlten sie sich behaglich in den zwanglosen Sitten 
der lebenslustigen Stadt. Die Maler durchwanderten das nahe Hoch- 
gebirge oder hielten fröhliche Sommerrast auf dem Frauenwörth im Chiem- 
see; auf ihren farbenprächtigen Künstlerfesten herrschte ein derber Humor, 
der den Deutschen seit den Fastnachtsspielen des Hans Sachs fast abhanden 
gekommen war. 
König Ludwig hat bis zu seinem Tode allein aus seiner Cabinets- 
kasse an 18 Mill. Gulden für Bauten und Kunstwerke ausgegeben — 
ungerechnet die Ausgaben des Staates, der Corporationen, der Gemeinden 
— und selbst diese Summen hätten nicht genügt, wenn er sie nicht im 
Einzelnen mit peinlicher Genauigkeit verwendet hätte. Er scheute den 
ungerechten Vorwurf des Geizes nicht und sprach offen aus, die Künstler 
sollten sich nicht schämen nach Brot zu gehen; doch er verstand sie zu 
ehren, gab ihnen in Staat und Gesellschaft eine würdige Stellung. Schon 
als Prinz hatte er sich mit dem Plane getragen, in einer Villa auf dem 
Palatin für Schiller ein trauliches Heim einzurichten; als König reiste er 
zu Goethe's Geburtstag selber nach Weimar um dem Dichter zu huldigen, 
und mit seiner Unterstützung entstand das erste Denkmal, das in Deutsch- 
land künstlerischem Verdienste geweiht wurde, das Dürer-Standbild in 
Nürnberg. Weil er groß dachte von der sittigenden Macht der Kunst, 
bestimmte er ihre Werke nicht für Kritiker und Kenner, sondern für das 
ganze Volk. Niemals erlaubte er, daß in den Sammlungen Eintritts- 
gelder erhoben oder zum Schutze der kostbaren Denkmäler Wachen auf- 
gestellt wurden; seine Baiern sollten sich gewöhnen das Schöne zu ertragen 
und endlich zu lieben.
	        
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