Die Münchener Kunst. 615
Was die Kunst nur aus sich selbst heraus zu finden vermag, konnte
ihr der königliche Beschützer freilich nicht schenken. Einheit des Stiles war
unmöglich in einer unruhigen Zeit, die das literarische Schaffen der ge—
sammten Vorwelt übersah, die unter der Last neuer und widerspruchsvoller
Gedanken fast erlag und doch erst wieder lernen mußte aus prosaischem Un—
geschmack sich zum ABC des Formensinnes zu erheben. Der Münchener
Malerei gab ihr „Peter der Große“, Cornelius, von Haus aus die Richtung
auf das Erhabene und Monumentale. Unter seinen Architekten dagegen
fand der König keinen, der durch die Uebermacht einer großen Persönlich—
keit die Münchener Baukunst so vollständig hätte beherrschen können, wie
Schinkel die Berliner; und obwohl er selber der Antike den Vorzug gab, so
sah er sich doch fast gezwungen, seine Baumeister auf die freie Nachbildung
verschiedener Stile hinzuweisen. Er verfuhr dabei mit feinem Geschmack;
fast immer entsprach der gewählte Stil dem Zwecke des Bauwerks. Aber
neben den malerischen engen Gassen der Altstadt, in denen sich das katho—
lische Stillleben der beiden letzten Jahrhunderte noch so getreu wider—
spiegelte, erschienen die weiten Straßen und Plätze des neuen Münchens
wunderlich, buntscheckig, charakterlos, zumal in diesen ersten Jahren, so
lange der bürgerliche Verkehr den verwegenen Plänen des Königs noch nicht
zu folgen vermochte. Griechische Tempel, römische Triumphbogen, florenti—
nische Paläste ragten fremdartig aus dürftigen Häuserzeilen empor oder sie
standen ganz einsam auf der öden Geröll-Ebene, und wer nur die Mängel
sehen wollte, wie H. Heine, fand reichen Anlaß über die gekünstelte Herr—
lichkeit des deutschen „Bier-Athens“ zu spotten. Auch die brennende Un—
geduld des Bauherrn that seinen Werken Abbruch. Immer mit neuen Plänen
beschäftigt, gönnte er den halbvollendeten selten die rechte Liebe und drängte
hastig zum Abschluß, obwohl die ungeschulten Hände der deutschen Kunst—
handwerker noch nachsichtiger Geduld bedurften. Er übernahm sich in Ent—
würfen, so daß man schließlich kaum mehr wußte, welchem großen Baiern
noch ein Denkmal gesetzt werden sollte, und störte die Arbeit der Meister
zuweilen durch ein willkürliches Machtwort, da er sich selber als den eigent—
lichen Schöpfer ansah. Unter der Masse von Künstlern, die an der Isar
zusammenströmten, wurde manche edle Kraft ungerecht mißhandelt, selbst
das grandiose Zeichner-Talent Bonaventura Genelli's. Die Eifersucht,
die in diesem Gewühle nicht fehlen konnte, führte bald zu widerwärtigen
Händeln, da der König von der sorglosen Selbstgewißheit Karl August's
gar nichts besaß, sondern eifersüchtig auf sein Ansehen bedacht, Jedem,
der etwa den „Großvezier“ spielen wollte, sogleich einen Nebenbuhler ent—
gegenstellte. Aber mit allen ihren menschlichen Schwächen war es doch
eine reiche Zeit voll kühnen Schaffens und fröhlichen Hoffens, die der
deutschen Kunst jetzt tagte, als Cornelius, von ehrfürchtigen Schülern um—
geben in der Glyptothek seine Malergerüste aufschlug; und mit Sehnsucht
dachte der Meister noch im hohen Alter an diesen wonnevollen Lenz zurück.