Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

648 III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine. 
Hochmuths, von Karlsruhe abberufen, in Hannover und Cassel als Ge— 
sandter beglaubigt. Ihm gelang es, den Kurfürsten zu überzeugen, daß 
auch der Anschluß an Baiern die kurhessische Nationalehre gefährde; „die 
bairischen Mauthritter“, wie der Kurfürst höhnte, empfingen im Mai 
abschlägige Antwort. Und bald erfüllte sich, was ein feiner Kenner der 
hessischen Dinge dem preußischen Gesandten Hänlein vorausgesagt hatte: 
„Kurhessen wird seine ergiebigen Transitzölle zu behalten suchen und am 
Liebsten gar nichts an dem Bestehenden ändern. Nur wenn keine Ver— 
ständigung mit der Kurfürstin zu Stande kommt, wird unser Staat, welcher 
bekanntlich nur aus einer Person besteht, sich aus Aerger vielleicht auf die 
Seite der Gegner Preußens schlagen.“ 
Dahin war es wirklich gekommen, daß die Zukunft der deutschen 
Handelspolitik zunächst von dem ehelichen Frieden des kurhessischen Hauses 
abhing. Um den Kurfürsten mit seiner Gemahlin zu versöhnen und dann 
den besänftigten Despoten für den Zollverein zu gewinnen sendete König 
Friedrich Wilhelm den General Natzmer nach Cassel. Motz gab dem 
Unterhändler eine Weisung mit, deren fridericianischer Ton von der matten 
Diplomatensprache jener Zeit gar seltsam abstach. Es war, als hätte der 
tapfere Hesse schon das Jahr 1866 vorausgesehen. Er bemerkt zunächst, 
die Verbindung mit Preußen liege im eigenen Interesse Kurhessens; mit 
600,000 Köpfen könne man kein eigenes Zollsystem bilden. Der Anschluß 
an den finanziell unfruchtbaren bairisch-württembergischen Verein sei für 
Hessen unnatürlich. Dagegen bringt der Anschluß an Preußen: eine be— 
deutende Einnahme von 20—24 Sgr. auf den Kopf; sodann einen großen 
Markt von 13 Mill. Einwohnern — denn nicht Verbote, sondern die 
Freiheit eines großen inneren Marktes fördern die Industrie, wie Preußens 
Beispiel zeigt — endlich den Besitz der großen Handelsstraßen. Schließt 
Kurhessen sich nicht an, so muß Preußen eine Straße durch Hannover 
suchen und den Bremer Verkehr nach Süddeutschland von Minden aus 
zum Rheine leiten. Manche Höfe, und namentlich Minister Marschall 
in Wiesbaden, behaupten zwar, ein Zollverein sei eine Verletzung der 
Souveränität. Aber der Großherzog von Hessen ist souverän geblieben, 
der Vertrag gewährt beiden Theilen gleiche Rechte. „In die neueren 
Ideen von Souveränität ist überhaupt viel Schwindel gekommen. Ich 
frage besonders: ist Kurhessen sonveräner in einem auf gleiche Souve- 
ränität basirten Vertrage mit seinem mächtigsten unmittelbaren Nachbarn, 
oder ist es souveräner ohne solche Verbindung, in einer unfreundlichen 
Stellung diesem mächtigsten unmittelbaren Nachbarn gegenüber? Es giebt 
Verhältnisse, mögen sie auch noch in der Zukunft liegen, in welchen 
Preußen ein feindlich gesinnter Nachbar nützlicher sein kann als ein durch 
feste Verträge verbundener.““") Die furchtbare Offenheit dieser Sprache 
  
*) Motz, vertrauliche Bemerkungen für General v. Natzmer.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.