Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Motz über die kurhessische Handelspolitik. 649 
war nicht geeignet den Kurfürsten zu gewinnen. Natzmer wurde mit 
ungeschliffener Grobheit heimgeschickt, und auch Ludwig Kühne, der zur 
Unterstützung des Generals nach Cassel und nebenbei nach Braunschweig 
ging, richtete an beiden Orten nichts aus. In solcher Laune, tobend gegen 
seine Gemahlin wie gegen Alles, was den preußischen Namen trug, war 
der hessische Despot bereit, den Weisungen Oesterreichs blindlings zu folgen. 
Die Hofburg wollte nicht bloß die Erweiterung des preußischen Zoll— 
systems verhindern, sie dachte das System selber zu zerstören, den müh— 
sam errungenen ersten Anfang deutscher Handelseinheit zu vernichten; und 
grade bei den norddeutschen Höfen, welche durch alle ihre natürlichen In— 
teressen auf Preußen angewiesen waren, fand diese Absicht Anklang. Der 
dynastische Haß des sächsischen Hofes, der Welfenstolz Hannovers, der 
Grimm des Kurfürsten gegen seinen königlichen Schwager, die Großmanns- 
sucht des Nassauer Herzogs, die gedankenlose Aengstlichkeit der kleinsten 
Höfe — alle niederträchtigen und alle schwächlichen Elemente des nord- 
deutschen Kleinfürstenthums vereinigten sich in tiefster Stille zum Kampfe 
gegen Preußen. Gestützt auf Oesterreich, begünstigt durch den Handels- 
neid Englands, Frankreichs und Hollands, kam der mitteldeutsche Handels- 
verein zu Stande — eine der bösartigsten und unnatürlichsten Verschwö- 
rungen gegen das Vaterland — gleich dem Rheinbunde ein Zeugniß, wessen 
das deutsche Kleinfürstenthum fähig war. 
  
Nirgends erweckte der preußisch-hessische Vertrag schwerere Besorg- 
nisse als am Dresdner Hofe. Wie hatte man sich dort so behaglich ein- 
gelebt in den alten Privilegienwust, wie war es so süß, am Bundestage 
über die deutsche Handelseinheit und die Bundeszölle salbungsvoll zu 
reden — in der frohen Erwartung, daß gar nichts zu Stande komme, 
daß man jedes ernsten Entschlusses, jeder heilsamen Reform allezeit über- 
hoben bleibe! Jetzt erstanden plötzlich dicht an Sachsens Grenzen zwei 
Zollverbände. Wie nun, wenn die augenblickliche Verstimmung des Königs 
von Baiern verflog, wenn die beiden Vereine, die in ihren handelspoli- 
tischen Grundsätzen einander so nahe standen, sich zu einem verschmolzen: 
wenn sie auch Thüringen gewannen, und also dem Leipziger Handel der 
Weg zur See ringsum durch Zollstellen versperrt wurde? Lauter und 
lauter erklangen die Klagen der Fabrikanten des Erzgebirges; zweimal im 
Jahre 1828 liefen Petitionen ein, die den König beschworen: der Anschluß 
an Preußen oder auch an den süddeutschen Verein, irgend ein Entschluß, 
der aus der vereinsamten Stellung hinausführe, sei unvermeidlich. Der 
Minister Graf Einsiedel, der als Eisenwerksbesitzer der Großindustrie näher 
stand, begann irre zu werden an dem alten Systeme. Einer der tüch- 
tigsten jüngeren Beamten, Wietersheim, schilderte in einer beredten Denk-
	        
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