Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

650 III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine. 
schrift den Nothstand der Industrie, die Unterlassungssünden der Regierung. 
König Anton aber hielt, wie sein Minister Manteuffel, einen Handels— 
bund mit Preußen für unmöglich. Eben in jenen Jahren stand ein alter 
Lieblingsgedanke der albertinischen Politik in voller Blüthe. Vor Kurzem 
erst, nach dem Aussterben des Hauses Gotha, hatte der König von Sachsen 
den Schiedsrichter und väterlichen Vermittler gespielt zwischen den ernesti— 
nischen Vettern. Man hoffte in Dresden, eine dauernde Hegemonie über 
die thüringischen Lande zu erlangen. Um so schmerzlicher empfand man 
die Gefahr, daß Thüringen dem preußischen oder dem süddeutschen Vereine 
sich anschließen könnte. 
Aus solchen Berechnungen entsprang der Plan, einen Gegen-Zoll- 
verein zu bilden, der, ohne selbst ein positives handelspolitisches Ziel zu 
verfolgen, nur als ein Keil zwischen die beiden Zollvereine hineindringen, 
ihre Verbindung hindern sollte. Es galt, die ersten Anfänge der Handels- 
einheit zu zerstören, den schmachvollen Zustand deutscher Zerrissenheit zu 
verewigen. Die Träger dieser Politik waren zwei Gebrüder Carlowitz) aus 
einem der ehrenwerthesten Häuser des obersächsischen Adels. Der Aeltere, 
königlich sächsischer Minister, war bis zum vorigen Jahre noch Bundes- 
tagsgesandter gewesen und stand in der Eschenheimer Gasse in lebhaftem 
Andenken als ein wohlmeinender Geschäftsmann der alten Schule, ein 
pedantischer Vertreter der bekannten kursächsischen Formelseligkeit. Der 
Jüngere, jetzt Minister in Gotha, persönlich ebenfalls sehr achtungswerth, 
hatte alle die unausrottbaren Vorurtheile des kursächsischen Adels mit 
aus der Heimath hinübergenommen. Vergeblich stellten ihm gothaische 
Beamte vor, ihr Ländchen sei auf Preußen angewiesen; der verständige 
Kammerrath Braun rief ihm zu: „Sie handeln als königlich sächsischer, 
nicht als herzoglich sächsischer Staatsmann.“ Er blieb dabei, „ein neu- 
traler Verein“ sei nothwendig, „eine achtunggebietende Masse zwischen den 
beiden Zollvereinen, stark genug, um beiden Bedingungen zu diktiren.“ 
Der Herzog von Gotha ward für die Pläne seines sächsischen Rathgebers 
leicht gewonnen. Er stand mit dem Berliner Hofe auf schlechtem Fuße, 
weil er sein entlegenes Saarland Lichtenberg gegen ein Stück des preußi- 
schen Thüringens auszutauschen wünschte und König Friedrich Wilhelm 
diese Zumuthung noch immer beharrlich abwies. In ihren Mitteln war 
die Coburgische Handelspolitik wenig wählerisch. Aller drei Wochen ging 
von Coburg eine Sendung neu geprägter unterwerthiger Münzen nach 
Lichtenberg; von dort überflutheten die unter dünner Silberhülle röthlich 
schimmernden Coburger Sechser das benachbarte süddeutsche Guldenland, 
und diese gewerbmäßige Falschmünzerei währte jahrelang fort trotz den 
Beschwerden der Nachbarn. Auch am Weimarischen Hofe herrschte augen- 
blicklich eine gegen Preußen leidenschaftlich eingenommene Partei, an ihrer 
Spitze der gescheidte Minister Schweitzer. 
So wurde denn ein hochgefährliches Unternehmen gegen Deutschlands
	        
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