Die Oberschönaer Punctation. 651
Handelseinheit in aller Stille eingefädelt, harmlos gemüthlich wie eine
Carlowitz'sche Familienangelegenheit. In den letzten Tagen des März 1828
trafen sich der Herzog von Gotha, die beiden Carlowitze und Schweitzer
auf dem Carlowitz'schen Familiengute Oberschöna — sie Alle noch ohne
eine klare Vorstellung von den schweren Folgen ihres Beginnens. Wir
Deutschen sind Gott sei Dank durch unabweisbare Interessen, durch alle
Lebensgewohnheiten auf einander angewiesen; jeder Versuch offener Feind-
seligkeit von Deutschen gegen Deutsche erscheint als eine Sünde wider
die Natur und bietet darum neben der Entrüstung auch der Lachlust ein
breites Ziel. In denselben Tagen, da in Oberschöna der Zollkrieg gegen
Preußen beschlossen wurde, verhandelte in Berlin der Weimarische Be-
vollmächtigte Thon wegen freundnachbarlicher Aufhebung der Geleitsgelder.
Mochte man den preußischen Staat bis in der Hölle tiefste Gründe ver-
wünschen, entbehren konnte man ihn nicht. Die in Oberschöna abge-
schlossene Punctation besagte: Es soll ein Handelsverein geschlossen werden
zwischen Sachsen, Kurhessen und Thüringen. Die Theilnehmer „werden
sich bemühen, den Beitritt der übrigen zwischen der preußischen und
bairischen Zolllinie gelegenen Lande zu erlangen.“ Sie verpflichten sich
„einseitig keinem auswärtigen Zollsysteme beizutreten, noch, ohne Zu-
stimmung des Vereins, mit einem Staate, in welchem ein solches System
besteht, einen Handels= oder Zoll-Vertrag zu schließen.“ Sie wollen ihre
gegenseitigen Unterthanen auf gleichem Fuß behandeln und (Art. 7) die
Transitabgaben im Verkehre zwischen den Vereinsstaaten nicht über das
Maß der sächsischen Transitzölle erhöhen. Sechs Monate nach der
Constituirung des Vereins soll über gemeinsame Handelsverträge und
Retorsionen berathen werden.
Es war ein pactum de paciscendo, ein Vertrag ohne positiven
Inhalt, eine Verpflichtung, vorläufig nichts zu thun, den bestehenden Zu-
stand nur nach gemeinsamer Abrede zu verändern. Von einer Zollgemein-
schaft zwischen den Vereinsstaaten, von irgend welchen ernsten Reformen
war gar nicht die Rede. Gleichwohl konnte der „neutrale“ Verein dem
preußischen Zollsysteme verderblich werden; er suchte der Handelspolitik
Preußens ihre schärfste Angriffswaffe, die Durchfuhrzölle, aus der Hand
zu winden. Wenn es gelang, alle zwischen den preußischen Provinzen ein-
geklammerten Länder, insbesondere die Küstenstaaten, für den Verein zu
gewinnen, so nahm die gesammte Einfuhr von der See nach dem innern
Deutschland ihren Weg durch die Vereinslande, da die sächsischen Transit=
zölle weit niedriger standen als die preußischen. Schritt man darauf
zu den verabredeten „Retorsionen“, wurde die Durchfuhr von Baiern nach
Preußen und von einer preußischen Provinz zur anderen mit hohen Zöllen
belastet, dann war Preußen einer reichen Einnahmequelle und seines wirk-
samsten Unterhandlungsmittels zugleich beraubt; nicht bloß die Erweite-
rung des preußischen Zollsystems wurde verhindert, der Bestand des