Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Der mitteldeutsche Handelsverein. 655 
erlangen; daher wurden dort die stärksten Hebel eingesetzt. Der jüngere 
Carlowitz selbst erschien im April zu Cassel, bald darauf kam Lindenau. 
Beide, unterstützt durch Hruby, stellten dem Kurfürsten vor, was er am 
liebsten hörte: der neutrale Verein verlange keine Aenderung in den be— 
stehenden Gesetzen Kurhessens; man betrachte dies Land als den Kern 
des Bundes, könne der Sachkenntniß des Kurfürsten nicht entbehren, darum 
sollten die Berathungen über das Grundgesetz unter seinen Augen, in 
Cassel erfolgen. Den Ausschlag gab jedoch die staatsmännische Absicht, 
dem Schwager in Berlin einen derben Possen zu spielen. Durch Kur- 
hessens Beitritt wurde Badens Ablehnung mehr als ausfgewogen. Lindenau 
schrieb an Berstett: er hoffe auf die Mitwirkung des Karlsruher Hofes 
um so sicherer, da durch den Verein „weder die Selbständigkeit der eigenen 
Landesverwaltung, noch auch deren finanzielle Verhältnisse die mindeste 
Störung erleiden, sondern nur die unveränderte Aufrechterhaltung des 
status quo versichert und bezweckt wird.““) Der Antrag ward abgelehnt. 
Mit Baiern verfeindet, von süddeutschen und preußischen Vereinslanden 
rings umschlossen, hatte Baden von dem neutralen Vereine nichts zu 
hoffen, von Preußens Zorn Alles zu fürchten. Bei allen anderen kleinen 
Höfen fanden Lindenau's Werbungen günstiges Gehör. Einige ängstliche 
thüringische Cabinette wurden gewonnen durch die vertrauliche Versiche- 
rung, Preußen sei mit der Gründung des Vereins einverstanden, eine 
plumpe Erfindung, die doch Eingang fand, weil die preußische Diplomatie 
sich wie bisher ruhig zurückhielt. Selbst Herzog Karl von Braunschweig 
ging diesmal Hand in Hand mit dem gehaßten jüngeren Welfenhause; 
eine Weisung Metternich's bewog ihn, beizutreten. 
Also waren im Laufe des Sommers die sämmtlichen zwischen den 
beiden Hälften der preußischen Monarchie eingepreßten Kleinstaaten ange- 
worben für den Neutralitätsbund, der sich den Namen „Mitteldeutscher 
Handelsverein“ beilegte. Nach jahrelangen vergeblichen Unterhandlungen 
sah Deutschland plötzlich in einem Jahre drei handelspolitische Vereine 
auftauchen. Nur Baden und die niederdeutschen Kleinstaaten östlich der 
Elbe blieben noch isolirt. Triumphirend verkündete ein Artikel der Frank- 
furter Oberpostamts-Zeitung, der aus Lindenau's Feder stammte, am 
25. Juni: Sachsen, Hannover, Kurhessen, Nassau, Frankfurt sind die 
Schöpfer des neuen Vereins, der den Art. 19 der Bundesakte zur Wahr- 
heit macht und, statt neue Zolllinien zu schaffen, vielmehr die Handels- 
freiheit auf sein Banner schreibt. „Daß Waare gegen Waare vertauscht, 
Freiheit mit Freiheit, Gleiches mit Gleichem erwidert werde, das ist For- 
derung des natürlichen Rechts, bei dessen Verkennung und Verweigerung 
es dem Vereine wohl nicht an Mitteln fehlen dürfte, das was recht und 
billig ist, mit feierlicher Kraft geltend zu machen, da er helfen und hemmen, 
  
*) Lindenau an Berstett, 19. April 1828.
	        
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