656 III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine.
Vortheil und Nachtheil zu gewähren vermag.“ Ein Gebiet von sechs
Millionen Seelen gehört ihm, die ganze weite Nordseeküste, die größten
Stapel= und Handelsplätze Deutschlands; die Elbe, den Rhein, den
Main, die Weser von allen Zöllen zu befreien, liegt allein in seiner
Hand!
Wohl mochte man prahlen! Eine so krankhaft unnatürliche Miß-
bildung war dem Particularismus noch nie zuvor gelungen. In einem
weiten Widerhaken reichte das Vereinsgebiet von Bremen nach Fulda,
dann westwärts zum Rheine, gegen Osten bis zur schlesischen Grenze, von
dem englischen Markte Hannover bis zu dem gewerbreichen Sachsen, über
einen bunten Länderhaufen, welchen, Preußen gegenüber, nur ein gemein-
sames Interesse zusammenhielt: Angst und Neid. Eben jene norddeut-
schen Kleinstaaten, welche bisher den handelspolitischen Anstrengungen
Preußens und Baiern-Württembergs einen trägen ablehnenden Wiher-
stand entgegengestellt, redeten plötzlich von deutscher Handelsfreiheit. Indeß
sie den Art. 19 der Bundesakte im Munde führten, verschworen sie sich
die bestehende Zersplitterung aufrecht zu halten und den preußischen Durch-
fuhrhandel zu vernichten. Und hinter diesem Bunde standen schirmend
Oesterreich, England, Holland, Frankreich! Wenn man in Berlin noch
der Belehrung bedurft hätte über die feindselige Gesinnung des mittel-
deutschen Vereins, so mußte die hinterhaltige Sprache der verbündeten
Cabinette jeden Zweifel zerstören. In tiefster Stille, ohne die geringste
Mittheilung an die preußische Gesandtschaft, hatte der Dresdener Hof sein
Werk begonnen. Als am preußischen Hofe Einiges ruchbar wurde, schrieb
Graf Einsiedel dem Gesandten v. Watzdorf in Berlin, versicherte heilig,
Baden sei nicht zum Beitritt aufgefordert worden. Doch leider hatte
der Karlsruher Hof jenes Einladungsschreiben Lindenauf's an Berstett
dem Berliner Cabinet sogleich mitgetheilt. Der Abtheilungschef im Aus-
wärtigen Amte bemerkte an den Rand der sächsischen Depesche: „Das
Gegentheil steht in unseren Akten. Graf Bernstorff wird Herrn v. Watz-
dorf eines Besseren belehren.“ Nicht minder verdächtig erschien, daß der
haunoversche Gesandte in Dresden, v. Reden, plötzlich ohne jede Veran-
lassung ein Schreiben an Bernstorff richtete, um inbrünstig zu betheuern,
Hannover hege durchaus keine feindseligen Absichten gegen Preußen, miß-
billige entschieden jenes gehässige Programm der Oberpostamts-Zeitung.)
Warum solche unerbetene Entschuldigung, wenn man sich nicht schuldig
fühlte? Späterhin, in einer Denkschrift vom Jahre 1832 nannte Met-
ternich selbst den mitteldentschen Handelsverein „versuchsweise zum Schutze
gegen das preußische Zollsystem geschaffen“.
Und abermals zeigte die öffentliche Meinung ihre alte unbelehrbare
Verblendung. In Arnstadt rottete sich das Volk zusammen vor dem
*) Einsiedel, Weisung an Watzdorf, 14. Mai; Reden an Bernstorff, 16. Aug. 1828.