Die Mitteldeutschen in Cassel. 657
Hause des Erbprinzen; die Leute drohten auszuwandern, wenn der Fürst
nicht fest zu dem mitteldeutschen Vereine stehe. Das sächsische Oppositions—
blatt „die Biene“ vertheidigte warm die hochherzige Absicht der sächsischen
Krone, die Unabhängigkeit „unseres Vaterlandes“ zu retten; das Erz-
gebirge müsse ja unfehlbar zu Grunde gehen, wenn die preußischen Zölle
die Getreideeinfuhr aus Böhmen verhinderten — diese preußischen Zölle,
die den Getreideverkehr fast gar nicht belasteten! Weithin erklang der
Jubelruf der Liberalen über die schmachvolle Niederlage des preußischen
Absolutismus: Preußens Herrschsucht ist gedemüthigt, das Gleichgewicht
der Mächte in Deutschland wiederhergestelltt Selbst in Baiern und
Württemberg, deren eigenes Zollsystem doch durch den mitteldeutschen
Verein bedroht wurde, vertheidigte die Presse den neuen Handelsbund.
Der bairische Hesperus donnerte gegen Darmstadt, das einen industriellen
Selbstmord begangen, den Schwaben und Baiern „einen Theil des
Segens edler Fürsten“ geraubt habe. Die Neckarzeitung begrüßte den
Verein als ein Zeugniß der Bundestreue, als einen letzten Versuch, die
Verheißungen der Bundesakte ins Leben zu führen. Sogar innerhalb
der bairischen Regierung fand sich eine Partei bereit die sächsisch-englischen
Entwürfe zu unterstützen; Lerchenfeld und Oberkamp, die gesammte Bundes-
tagsgesandtschaft König Ludwig's, blieben mit Lindenau in vertrautem
Verkehr. Nur Wenige verstanden den festen patriotischen Stolz des Frei-
herrn vom Stein, der voll Verachtung auf die Vasallen der englischen
Handelspolitik niederschaute und an Gagern schrieb: „es ist den erbärm-
lichen, neidischen, antinationalen Absichten unserer kleinen Cabinette an-
gemessen, sich an das Ausland zu schließen, sich lieber von Fremden peitschen
zu lassen, als dem allgemeinen Nationalinteresse die Befriedigung klein-
lichen Neides aufzuopfern."
Am 21. Mai 1828 hatten die Verbündeten zu Frankfurt einen Prä-
liminarvertrag geschlossen. Am 22. August, nachdem unterdessen der Ver-
ein vollzählig geworden, versammelten sich die Bevollmächtigten in Cassel,
und schon am 24. September kam der endgiltige Vertrag zu Stande.
Solche Schnelligkeit der Berathung stach von den Gewohnheiten der Staats-
männer des Bundestags auffällig ab; sie bewies deutlich, daß man Ge-
fahr im Verzuge glaubte und mehr einen diplomatischen Schachzug als
ein dauerhaftes Werk beabsichtigte. Der Vertrag, in Dresden entworfen,
sprach die feindselige, aggressive Richtung gegen Preußen noch weit offener
aus als die Oberschönaer Punctation. Der Verein ist bestimmt, den
freien Verkehr im Sinne des Art. 19 der Bundesakte zu befördern und
„die Vortheile, welche in dieser Hinsicht dem einzelnen Staate durch seine
geographische Lage und sonst gewährt sind, auf das Ganze zu übertragen,
auch daneben sich jene Vortheile zu erhalten und sicher zu stellen.“ Die
Verbündeten verpflichteten sich, bis zum 31. Decbr. 1834 — d. h. bis zu
dem Zeitpunkt, wo der preußisch-hessische Vertrag ablief — keinem aus-
v. Treitschte, Deutsche Geschichte. III. 42