742 III. 10. Preußen und die orientalische Frage.
freuten. Nikolans wohnte noch der Hochzeit des Prinzen Wilhelm bei
und reiste bereits am siebenten Tage heim. Mit schlecht verhehlter Angst
sagte Metternich dem preußischen Geschäftsträger, dieser Familienbesuch
werde doch sicherlich keine politischen Folgen haben.)
Er täuschte sich abermals. Die beiden Monarchen hatten die kurzen
Tage des Wiedersehens ernstlich benutzt. Friedrich Wilhelm erklärte dem
Czaren sehr bestimmt: wenn er den Frieden wolle, so müsse er seine
Bereitwilligkeit bethätigen.*) Nikolaus betheuerte darauf in einer eigen-
händigen Aufzeichnung, er verlange schlechterdings nichts weiter als die
schon in seinem Kriegsmanifest aufgestellten Bedingungen. „Ich kann
versichern, daß sich darin Alles genau angegeben findet, gegen den ge-
wöhnlichen Gebrauch in solchen Fällen, wohl aber in der Absicht, jeden
Verdacht zu vermeiden hinsichtlich angeblich ehrgeiziger Absichten und
Hintergedanken, welche meinen Grundsätzen ebenso fremd sind wie meinem
Herzen.“ Seine Hauptforderung war also der Ersatz der Kriegskosten, die
er schon jetzt auf 150 Mill. Rubel Papier schätzte; er wollte aber nicht die
ganze Summe baar fordern, sondern auch Schiffbauholz, Kriegsschiffe und
einige Grenzplätze am Kaukasus an Zahlungsstatt annehmen..) So
blieb freilich nach russischer Gewohnheit noch eine Hinterthür offen. Noch
niemals war der Pforte von einem Sieger eine Geldzahlung zugemuthet
worden; orientalische Staaten vermögen auch solchen Anforderungen nicht
zu genügen, der verlangte Ersatz konnte daher sehr beträchtlich werden.
Immerhin klangen die Bedingungen nicht unbillig, da das Kriegsglück
die russischen Waffen überall begünstigte. Während Paskiewitsch abermals
in Kleinasien vordrang und schon die Straße nach Trapezunt einschlug,
wurde das türkische Hauptheer von Diebitsch bei Kulektscha aufs Haupt
geschlagen (11. Juni); das feste Silistria fiel, der Weg über den Balkan lag
offen vor dem russischen Feldherrn. Aber wie sollte die Pforte zu Unterhand-
lungen bewogen werden? Daß der Sieger selber Anerbietungen stellte,
war nach orientalischem Brauche unmöglich und hätte im Divan nur Ver-
dacht erweckt. Auf die Fürsprache der anderen Mächte gab der ergrimmte
Sultan seit dem Tage von Navarin nichts mehr. Nur Preußen vermochte
die Vermittlung zu übernehmen, aber auch nicht in den gewöhnlichen diplo-
matischen Formen, die auf den türkischen Hochmuth keinen Eindruck mehr
machten. Ein Erfolg schien nur möglich, wenn ein sachkundiger preußi-
scher General nach Stambul ging, um den Sultan womöglich persönlich
über die bedenkliche militärische Lage der Türkei aufzuklären, ihm im Auf-
trage des Königs zu versichern, daß der Sieger bereit sei, auf billige
*) Brockhansen's Bericht, Wien 20. Juni 1829.
**) So erzählt Ancillon in dem Ministerialschreiben an Royer vom 18. Juni 1829.
*““) Eigenhändige Aufzeichnung von K. Nikolaus, o. D., unverkennbar in Berlin
niedergeschrieben.