Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Metternich und die preußische Verfassung. 757 
Ich habe im achten und neunten Abschnitte des 2. Bandes nachgewiesen, wie die 
Verfassungsgrundsätze des Wiener Hofes sich seit dem Jahre 1818 zu der Formel zu— 
spitzten: „keine Volksvertretung, sondern Stände“. Das Repräsentativsystem, wie es in 
Baiern und Baden verkündigt war, sollte der Idee der Volkssouveränität entsprungen 
sein und wurde von Metternich bald demokratisch, bald revolutionär, bald demagogisch 
gescholten; nur altdeutsche oder auch deutschrechtliche Landstände, wo möglich bloß Pro- 
vinzialstände, galten noch als vereinbar mit der monarchischen Ordnung. In diesem 
Sinne äußerte sich Metternich schon zur Zeit des Aachener Congresses, als er dem König 
von Preußen rieth, Provinzialstände mit einem Centralausschuß einzuführen. Seitdem 
kommen alle Denkschriften und Briefe der Wiener Staatsmänner in mannigfachen 
Wendungen immer wieder auf denselben Gedanken zurück: keine demokratische Volks- 
vertretung, sondern Landstände. So war die Gesinnung des österreichischen Hofes, als 
Metternich am 29. Juli 1819 in Teplitz mit König Friedrich Wilhelm zusammentraf. 
Ueber dieses Gespräch liegt nichts vor als zwei Berichte Metternich's an Kaiser 
Franz vom 30. Juli und 1. August. Nun läßt sich für den Historiker kaum eine pein- 
lichere Pflicht denken, als die Aufgabe, auf Grund einer Erzählung Metternich's den 
wirklichen Thatbestand einer unter vier Augen abgehaltenen Unterredung festzustellen. 
Seit dem Erscheinen von Metternich's „Nachgelassenen Papieren“ sind alle freimüthigen 
Historiker einig in dem Urtheil, daß Metternich und Napolcon I. die beiden größten 
— dder doch beinah die größten — Lügner des neunzehnten Jahrhunderts waren; daher 
wird auch, beiläufig bemerkt, jene berühmte Unterredung, welche die Beiden im Marco- 
lini'schen Palaste selbander hielten, wohl immer ein Lieblingsthema für unlösbare histo- 
rische Controversen bleiben. Metternich konnte es nicht lassen, in seinen Briefen seine 
eigene Größe und die Jämmerlichkeit aller anderen Sterblichen wohlgefällig auszumalen; 
die Preußen vollends betrachtete er stets durch die trübe Brille vom Jahre 1804. Auch 
in Teplitz blieb er dieser üblen Gewohnheit treu. Ueber den preußischen Staatskanzler 
berichtete er am 30. Juli seinem Kaiser: „er ist übrigens, nicht im Geiste aber im 
Gemünth, der Kindheit nahe;“ und dies ist nachweislich eine boshafte Uebertreibung. Die 
Schwächen von Hardenberg's Alter kennt Jedermann; aber dieser „der Kindheit nahe“ 
Greis fand wenige Tage nach der Teplitzer Unterredung den Muth, in Berlin einen 
groß und frei gedachten Verfassungsplan vorzulegen; dieser selbe Mann hob einige Monate 
später mit schneidiger Thatkraft und durchtriebener Schlauheit seinen Gegner Humboldt 
aus dem Sattel und erzwang sodann nach schweren Kämpfen im Staatsrathe die An- 
nahme jener Staatsschulden= und Steuergesetze, welche zu den gediegensten gesetzgeberischen 
Thaten der Epoche zählen. Ein Staatsmann, der Solches vollbringt, mag an vielen 
Fehlern leiden, der Kindheit nahe ist er nicht. 
Metternich hat mithin den preußischen Staatskanzler in Teplitz verleumdet, und 
ich nehme mir die Freiheit zu behaupten, daß er auch gegen den König, den er ohnehin 
niemals gerecht beurtheilte, nicht gewissenhafter verfahren ist. Sein Bericht vom 30. Juli 
ist unverkennbar theatralisch aufgeputzt, Wort für Wort darauf berechnet, die überwälti- 
gende Größe des Briefschreibers ins rechte Licht zu stellen. Hätte König Friedrich Wilhelm 
am 29. Juli genau so gesprochen, wie Metternich erzählt, so müßte man ihn einen 
elenden Schwächling nennen, und dies war Friedrich Wilhelm ebenso wenig wie Harden- 
berg der Kindheit nahe war. Ich habe mich daher bemüht, durch sorgfältige Ver- 
gleichung der beiden Berichte Metternich's den Thatbestand herauszufinden und bin dabei 
von dem bewährten Grundsatze ausgegangen, daß man einem verdächtigen Zeugen nur 
das glauben darf, was durch andere Umstände bestätigt oder doch wahrscheinlich gemacht 
wird. Baumgarten aber ist naiv genug, dem Fürsten Mctternich jedes Wort zu glauben, 
und da er sein wohlwollendes Urtheil über mein Buch keine Stunde länger dem 
Publikum vorenthalten durfte, so gönnte er sich nicht einmal die Zeit, die hier in Be- 
tracht kommenden Quellen vollständig zu lesen. Er las in seiner freundschaftlichen Hast 
nur den ersten Bericht Metternich's vom 30. Juli (Nachgel. Papiere III. 258) und
	        
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