Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

758 Metternich und die preußische Verfassung. 
bemerkte nicht, daß dicht dahinter (III. 261) noch ein zweiter Bericht vom 1. August 
steht, welcher den ersten, fragmentarischen ergänzt und erläutert. Kein Wunder also, 
daß der eilfertige Kritiker den Sinn der Unterredung vom 29. Juli gründlich mißversteht. 
Metternich erzählt in dem Berichte vom 30. Juli, er habe dem Könige gesagt: 
„Sind Ew. Mojestät entschlossen, keine Volksvertretung in Ihrem Staate einzuführen, 
der sich weniger als irgend ein anderer hiezu eignet, so ist die Möglichkeit der Hilfe 
vorhanden.“ Angenommen, diese Aeußerung sei wortgetreu berichtet, so fragt sich: was 
wollte Metternich damit sagen? Den Sinn seiner Worte hat er ja erst im Verlaufe 
„einer langen Unterredung“, welche wir nicht kennen, näher dargelegt. Die Antwort 
auf diese Frage ist im Grunde schon enthalten in der oben angedeuteten damaligen Ver- 
fassungsdoktrin des Wiener Hofes. Glücklicherweise giebt aber Metternich selbst eine 
bestimmte Antwort in seinem zweiten Berichte vom 1. August. Da sagt er (III. 265): 
hier in Teplitz habe er dem Könige eine Denkschrift übergeben, „die den wahren Unler- 
schied zwischen landständischen Verfassungen und einem sogenannten Repräsentativsystem 
deutlich bezeichnet“. Dies muß wahr sein, da Metternich seinem Kaiser eine Copie der 
Denkschrift beilegte. Dann fährt er fort: er habe dies gethan, weil er wisse, welchen 
Werth der König schon auf seine „weit oberflächlichere“ Aachener Denkschrift gelegt habe. 
Daraus folgt unwidersprechlich: die Teplitzer Denkschrift muß ungefähr die nämlichen 
Grundsätze entwickelt haben, wie die Aachener, nur klarer, bestimmter, eindringlicher. 
Der Herausgeber der „Nachgelassenen Papiere“ bemerkt auch selbst ganz richtig in einer 
Note: die Teplitzer Denkschrift „liegt nicht vor, dürfte aber ziemlich analog mit Nr. 305 
(d. h. mit der Aachener Denkschrift) sein.“" Nun versteht sich's von selbst, Metternich 
konnte in dem Gespräche dem Könige nicht das Gegentheil dessen anrathen, was er ihm 
gleichzeitig in seiner Denkschrift empfahl. Folglich hat Metternich zu dem Könige nicht 
gesagt: Sire, führen Sie das Versprechen vom Mai 1815 gar nicht aus; sondern er 
warnte ihn — wie schon in Aachen, nur noch eindringlicher — vor einer Volksver- 
tretung nach bairisch-badischer Art: dergleichen sei demokratisch, revolutionär, demagogisch 
u. s. w.; und er beschwor ihn, wie schon in Aachen, statt einer Volksvertretung viel- 
mehr Landstände einzuführen. Ich habe mich mithin ganz correct und nach allen Regeln 
der historischen Kritik ausgedrückt, wenn ich den Inhalt des Gesprächs dahin zusammen- 
faßte: Metternich habe den König gebeten „keine Volksvertretung in dem modernen 
demokratischen Sinne zu geben, sondern sich mit Ständen zu begnügen.“ Wenn Baum- 
garten sich nunmehr den von ihm übersehenen zweiten Bericht Metternich's ernstlich 
ansieht, so wird er selbst erkennen, wie nachlässig und oberflächlich er bei seiner Kritik 
zu Werke gegangen ist. Eingestehen wird er sein Unrecht freilich nicht. Das thut der 
echte und gerechte deutsche Zunft-Professor niemals. 
Das Alles ist für Unbefangene klar wie der Tag. Zum Ueberfluß bringe ich noch 
einen zweiten, ebenso durchschlagenden Beweis. Die nächste Folge jener Unterredung 
vom 29. Juli war die Punctation vom 1. August, und diese sagt ausdrücklich, Preußen 
werde keine allgemeine Volksvertretung einführen, sondern landständische Verfassungen in 
den Provinzen und aus diesen einen Centralausschuß von Landesrepräsentanten bilden. 
Noch ein dritter Beweis. Dreizehn Tage nach jener Teplitzer Unterredung legte Harden- 
berg dem Könige seinen Verfassungsplan vor, der sodann auf Befehl des Monarchen 
der Verfassungscommission übergeben wurde, und dieser Plan beruhte ebenfalls auf dem 
Grundsatze: keine Volksvertretung nach bairisch-badischem Muster, sondern eine ständisch 
gegliederte Verfassung. 
Auch diese Teplitzer Händel kann Baumgarten nicht vorübergehen lassen, ohne mir 
nochmals meine Parteilichkeit zu Gunsten des Königs vorzuwerfen, weil ich den Staats- 
kanzler in erster Linie für die Schande der Teplitzer Punctation verantwortlich gemacht 
habe. Ich halte dies Urtheil durchaus aufrecht. Die jedem Preußen unvergeßliche 
Schmach jener Punctation liegt nicht in ihrem Inhalt; denn über die Nothwendigkeit 
der Karlsbader Ausnahmegesetze waren beide Mächte von vorn herein einverstanden,
	        
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