Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Metternich und die preußische Verfassung. 759 
und auch der Artikel VII über die preußische Verfassung sagte streng genommen nichts 
Neues. Das Anstößige des Vertrags lag in seiner Form, es lag darin, daß Preußen 
ohne jede Gegenleistung dem Hause Oesterreich eine einseitige Zusage über preußische 
Angelegenheiten gab. Diesen unerhörten Formfehler durfte Hardenberg als gewiegter 
alter Diplomat sich nicht zu Schulden kommen lassen. Hätte die Punctation einen 
Artikel enthalten etwa des Inhalts: „Oesterreich ist entschlossen, an den bestehenden 
provinzialständischen Verfassungen seiner deutschen Kronländer nichts zu ändern“ — einen 
Artikel, welchen Metternich kaum ablehnen konnte — so war mindestens die Form 
gewahrt, und der preußische Staat vermied den üblen Schein, als ob er sich dem Wiener 
Hofe unterordnete. Daß Hardenberg dies versäumt hat, ist seine schwere historische Ver— 
schuldung; und die Verantwortung trifft zunächst ihn, denn er allein hat die Punctation 
mit Metternich abgeschlossen, der König war gar nicht zugegen. 
Die schwere Mitschuld des Monarchen verkenne ich nicht. Unleugbar spielte Friedrich 
Wilhelm in jener Teplitzer Unterredung eine traurige Rolle, selbst wenn man alle die 
Knalleffecte der Metternich'schen Erzählung als zweifelhaft oder unmöglich hinwegläßt. 
Jener 29. Juli zählt zu den häßlichsten Tagen seines Lebens. Ich habe mich darüber 
auch ganz unumwunden ausgesprochen, indem ich sagte: „fast so ergeben wie einst der 
schwache Joachim II. stand jetzt wieder ein Hohenzoller neben dem österreichischen Herr— 
scher.“ Ein loyaler Preuße bemerkte mir daraufhin: „Diese Vergleichung mit Joachim II. 
ist das Bitterste, was sich über einen Preußenkönig des neunzehnten Jahrhunderts irgend 
sagen läßt.“ 
Nur Eines kann und will ich nicht thun — hier trete ich meinem Kritiker als 
unversöhnlicher Gegner gegenüber — ich kann nicht, nach dem schlechten Beispiel von 
Gervinus und Baumgarten, den König Friedrich Wilhelm und seinen Staatskanzler mit 
einem Metternich auf eine Linie stellen. Die Geschichte, der dauernde historische Erfolg 
hat bereits entschieden. Metternich's Werke sind todt und abgethan. Die Herrschaft 
Oesterreichs in Deutschland und Italien ist spurlos vernichtet, und auch in seinem 
inneren Leben wandelt das neue Oesterreich auf Bahnen, welche mit der Staatskunst 
jenes ideenlosen Diplomaten nichts mehr gemein haben. Die Politik Friedrich Wil— 
helm's III. hingegen zeigt einen Januskopf. Sie hat Manches gesündigt, in Teplitz, in 
Karlsbad und späterhin noch oftmals; doch sie hat auch das Wehrgesetz geschaffen und 
das Zollgesetz, die Organisation der Verwaltung und die Steuergesetzgebung, fast alle 
die Fundamente des heutigen Deutschen Reichs. Ihre Werke dauern; wir bauen an 
ihnen fort, aber wir haben sie noch heute, nach zwei Menschenaltern nicht zerstört. Das 
sagt Alles. 
Diesen Gegensatz der deutschen Politik Oesterreichs und Preußens scharf zu 
beleuchten, erscheint mir nicht nur als einc wissenschaftliche Pflicht der historischen Gerech= 
tigkeit, sondern auch als eine politische Pflicht gegen die Nation. Riesengroß wie nie 
zuvor sind heute die alten deutschen Todsünden der Zank-, Scheel= und Tadelsucht 
wieder ins Kraut geschossen. Ich aber meine, wir werden nicht eher zu freier menschlicher 
Bildung noch zu einem kräftigen Nationalstolz gelangen, als bis wir begriffen haben, 
daß beim liebevollen Verstehen und Erklären der vaterländischen Vergangenheit schließ- 
lich mehr herauskommt, als beim Bemängeln, Bequängeln und Benörgeln. Wenn mein 
Buch irgend etwas dazu beiträgt, die hypochondrischen Geschichtsphantasien der libera- 
lisirenden Gervinus'schen Schule zu zerstören, die Deutschen für eine dankbarere und 
darum freiere Auffassung ihrer herrlichen Geschichte zu gewinnen, dann habe ich nicht 
umsonst gearbeitct. — 
Inzwischen hat P. Bailleu in der Historischen Zeitschrift (L., 190. Jahrg. 1883) 
eine Dentschrift Metternich's veröffentlicht, welche in der That die Berufung von Pro- 
vinzialständen und einer aus ihnen hervorgehenden Centralvertretung empfiehlt. Das 
Actenstück trägt, wie ich nach eigenem Augenschein bestätigen kann, am Kopfe die Be- 
merkung von Bernstorff's Hand: „Nach den Angaben des Fst. Metternich vom Hofrath
	        
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