92 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
wurde leicht gewonnen. Der Hartnäckigkeit des Königs der Niederlande
aber ließ sich mit Überredung nicht beikommen. Obwohl er in die Tei-
lung seines Königreichs längst gewilligt hatte und nur noch gegen einzelne
Artikel des Vertrages sachliche Einwände erhob, so fühlte er sich doch
durch das rücksichtslose Verfahren der Konferenz tief beleidigt. Er wollte
dem koburgischen Thronräuber nicht verzeihen und hoffte insgeheim auf
einen allgemeinen Krieg, der Hollands Entwürdigung noch abwenden
sollte. „Nach allem was geschehen,“ schrieb er seinem Schwager, „ist es
mir unmöglich, in Leopold nicht nach wie vor meinen Feind zu sehen.
Meine Sache ist nicht meine eigene, sie ist allen rechtmäßigen Regie-
rungen gemeinsam.“ Vergeblich hielt ihm Friedrich Wilhelm vor, daß
Holland sich durch seine Unversöhnlichkeit den Beistand seiner Verbün-
deten selbst verscherze.)
Der Oranier nahm diese Drohung nicht für Ernst; er zählte auf
Rußlands Beistand, denn Nikolaus wiederholte beständig: ich ratifiziere
nicht eher, als bis der rechtmäßige König die Belgier aus dem Untertanen-
verbande entlassen hat. So drehte man sich im Kreise; die beiden Legi-
timisten in Petersburg und im Haag versteckten sich einer hinter dem
andern. Da Ancillons Denkschriften auf den Zaren keinen Eindruck
machten, so schrieb König Friedrich Wilhelm selbst: er achte, ja er teile
die Gefühle seines Schwiegersohnes, aber „ich habe meinem Herzen
Schweigen auferlegt, um den Geboten der politischen Vernunft zu ge-
horchen“; nicht um der Oranier, sondern um Europas willen sei Belgien
einst mit Holland vereinigt worden, also dürfe man auch bei der Tren-
nung nur das allgemeine Interesse im Auge haben; bei einem allge-
meinen Kriege bilde Rußland doch nur die Nachhut, die Last des Kampfes
falle auf Deutschland, darum sei es Pflicht der drei Ostmächte, im Haag
gemeinsam zu erklären, daß ihre Geduld Grenzen habe.?)
Nach langem Widerstreben und mehrfachen Rückfällen ließ sich der Zar
überzeugen und sendete im Februar 1832 seinen Vertrauten Orlow nach
dem Haag, um dort noch einen letzten Versuch zu wagen. Als Orlow,
wie zu erwarten stand, bei dem Oranier nichts ausrichtete, erklärte er
ihm am 22. März rundweg, sein Kaiser könne nunmehr die Ratifi-
kation nicht länger verschieben und überlasse alle Verantwortung dem
Könige.“*) Bei allen diesen Verhandlungen wähnte Nikolaus noch immer,
*) Oberst Scharnhorsts Bericht an den König 28. Aug. Witzleben an Ancillon
22. Okt. Eichhorns Denkschrift für Prinz Albrecht 25. Okt. K. Wilhelm d. Niederl.
an K. Friedrich Wilhelm 5. Dez. Antwort 24. Dez. 1831.
**) Ancillon, Rundschreiben an die Gesandtschaften, 18. Dez. 1831. K. Friedrich
Wilhelm an K. Nikolaus, nebst Memorandum, 12. Jan. 1832.
*#*) K. Nikolaus an K. Wilhelm der Niederl. 18. Jan. a. St. Russische Denk-
schrift, zur Beantwortung des preußischen Memorandums, Febr. Nesselrode, Weisung
an Lieven, Ende März 1832.