96 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltsriede.
daran dachte, die großen Mächte zur Mitwirkung aufzurufen*): die Laien
blieben von der Regierung ausgeschlossen, die neuen Provinzial- und Ge—
meinderäte völlig machtlos. Als nun im Januar 1832 päpstliche Truppen
in die Romagna einrückten, rotteten sich die Bürgerwehren und Frei—
scharen zusammen; die Aufständischen unterlagen, und furchtbar hauste
das wüste Gesindel der Schlüsselsoldaten in den unterworfenen Städten.
Die Kurie aber zitterte vor ihrem eigenen Heere und rief nochmals die
Hilfe des österreichischen Nachbarn an. Am 28. Januar erschien Mar—
schall Radetzky mit seinen Weißröcken in Bologna; die Romagnolen selber
empfingen ihn mit Freude, weil er ihnen doch Schutz gewährte gegen die
wütenden Papalini.
Nach Völkerrecht war Osterreichs Verfahren unanfechtbar, sicherlich
besser gerechtfertigt, als der belgische Zug der Franzosen vom vorigen
Sommer. Casimir Perier aber hatte sich vor den Kammern vermessen,
daß er eine neue Einmischung der Osterreicher nicht dulden werde; er
war gerichtet, wenn er sein Wort nicht hielt. Die Parteiwut der Fran-
zosen zwang selbst diesen ernsten Staatsmann, sich vor der Phrase der
Nichteinmischungslehre zu beugen und seine kurze rühmliche Laufbahn
mit einem unwürdigen Possenspiele zu schließen. Perier ließ durch Marschall
Maison in Wien ankündigen, daß nunmehr auch Frankreich einschreiten
müsse — alles im Namen der Nichteinmischung! Metternich antwortete
mit überlegenem Hohne: „Wollen Sie, daß wir im Kirchenstaate bleiben?
Dann wählen Sie das rechte Mittel; denn sicherlich werden wir so lange
bleiben, bis ihr wieder fortgeht!“ In tiefem Geheimnis segelte unter-
dessen ein kleines Geschwader aus Toulon ab, fünfzehnhundert Franzosen
landeten am 22. Februar in Ancona und bemächtigten sich der Stadt;
ein pomphaftes Manifest verkündete den Italienern, daß Frankreich überall
die Freiheit der Völker gegen den Despotismus beschütze.
Die Pariser Presse und viele der liberalen deutschen Zeitungen froh-
lockten über die neue Wundertat des freien Frankreichs. Casimir Perier
selber war trotz seiner Verstandesklarheit doch wie alle Franzosen zur
politischen Selbsttäuschung geneigt; er redete sich ein, daß er „das öffent-
liche Recht Europas“ verteidigt habe, und die Haltung der anderen
Mächte bestärkte ihn in diesem Wahne. Während Osterreich und Ruß-
land ihre Entrüstung über dies „politische Verbrechen“ laut aussprachen,
konnte selbst Palmerston seine Unzufriedenheit kaum verbergen, so daß
Ludwig Philipp für geraten hielt, den fremden Gesandten allerhand feige
Entschuldigungen zu sagen. Ancillon aber klagte rührsam: „Die Winde
haben eine Seefahrt, welche keine Gunst verdiente, seltsam begünstigt.
Die Geschichte bietet wenig Beispiele einer so offenbaren Verletzung aller
Grundsätze. Dies verhängnisvolle Abenteuer würde ein Rätsel sein,
*) Metternich, Mémoire sur affaire des Légations romaines, Nov. 1831.