Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Besetzung von Ancona. 97 
wenn man nicht daran gewöhnt wäre, daß das französische wie das eng— 
lische Ministerium alles den Rücksichten der parlamentarischen Lage unter— 
ordnet, alles der nationalen Eitelkeit opfert.“*) 
Nach kurzer Frist beruhigten sich die Mächte wieder; sie erkannten bald, 
daß die Besetzung von Ancona wirklich nur den Dünkel der französischen 
Parteien beschwichtigte und sonst ohne jede Wirkung blieb. Die fünfzehn- 
hundert Mann auf der halbzerfallenen Zitadelle durften, da der Papst 
Einspruch erhob, weder Verstärkungen herbeiziehen noch die Festungswerke 
herstellen, sie mußten die päpstliche Flagge hissen, sie vertrieben sogar die 
Liberalen aus der Stadt und leisteten der Polizei des Vatikans willig 
Schergendienste. Fast sieben Jahre lang hielten sie in dieser lächerlichen 
Lage aus, bis sie endlich im Dezember 1838, gleichzeitig mit den Oster- 
reichern das Land verließen. Inzwischen hatte sich das Priesterregiment 
unter dem Schutze der kaiserlichen Waffen behaglich wieder eingerichtet. 
Von ernsten Reformen war so wenig die Rede, daß England schon 
nach einigen Monaten seinen Bevollmächtigten von der nutzlosen römischen 
Gesandtenkonferenz abberief. Metternich freute sich des Starrsinns der 
Kurie keineswegs und ersparte ihr ernste Mahnungen nicht. Doch er 
wußte auch, daß dieser Priesterstaat, den er selber bereits vor Jahren „ein 
nur zu veraltetes, morsches Gebäude“ genannt hatte, *) durchgreifende 
Neuerungen kaum noch ertragen konnte, und schon um dem Bürger- 
königtum keinen Triumph zu bereiten, wollte er den Papst nicht allzu 
lebhaft bedrängen. Die Besetzung von Ancona brachte der Freiheit Italiens 
keinen Gewinn; sie verhinderte sogar die bescheidenen Reformen, welche 
unter der Herrschaft des gekrönten Priesters vielleicht noch möglich waren. 
Der feine politische Instinkt der Italiener täuschte sich darüber nicht: die 
Österreicher fürchtete man als harte, tapfere Feinde; der lärmende, an- 
maßende, furchtsame französische Freund ward verachtet. Noch auf lange 
hinaus schien die Herrschaft des Kaiserhauses auf der Halbinsel gesichert. 
Das also war das Ergebnis dieser wirrenreichen Kämpfe. England 
hatte die Wege des Liberalismus betreten, in Frankreich und Belgien war 
die Revolution zum Siege gelangt, in Polen und Italien war sie unter- 
legen. Das alte und das neue Europa hielten einander das Gleich- 
gewicht. Welchem der beiden Lager würde Deutschland sich zuwenden? 
— an dieser Frage hing die nächste Zukunft der Staatengesellschaft. — 
  
*) Ancillon an Maltzahn, 5. März 1832. 
**) Metternich an Bernstorff, 17. Aug. 1820. 
  
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 7
	        
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