Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

112 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland. 
aus. Daß ein solcher Mensch dem deutschen hohen Adel nicht mehr an— 
gehören durfte, leuchtete schließlich allen ein. Karl konnte sich auf sein 
unbestreitbares Fürstenrecht berufen; nun hatte er selber den Pöbel auf— 
gehetzt, den Landfrieden des preußischen Staates gestört, und in Berlin 
war man schon entschlossen, ihn aufheben zu lassen. Jetzt erst, nachdem 
Karl selber die gütlichen Verhandlungen abgebrochen, beantwortete der 
bedächtige König von England die Adresse des braunschweigischen Stände— 
Ausschusses vom September und versicherte die Landstände seines Schutzes. 
Selbst Kaiser Franz erklärte dem Herzog Wilhelm seine volle Zustim— 
mung zu den unvermeidlichen Entschlüssen der letzten Tage.“) Am Bun— 
destage war alles verwandelt; außer dem kurhessischen Gesandten bestritt 
niemand mehr, daß Karl zum Regieren unfähig sei. Münchs Zauder— 
künste hörten auf, die Ansichten Preußens und Hannovers fanden rasch 
Anklang, und schon am 3. Dezember einigte sich der Bundestag über 
einen Beschluß, dem nur einzelne Regierungen nach altem Bundes- 
brauche noch einen Vorbehalt anhingen. Herzog Wilhelm wurde ersucht, 
„die Regierung bis auf weiteres zu führen“, den Agnaten aber ward 
„anheimgegeben, die definitive Anordnung für die Zukunft zu bewirken“ 
und sie dem Deutschen Bunde zur Anerkennung mitzuteilen. Der junge 
Herzog atmete auf und beeilte sich, den ersten Teil des Beschlusses 
seinem Lande mitzuteilen. Nun hatte er doch wieder einen Rückhalt: er 
regierte fortan im Auftrage des Deutschen Bundes. 
Freilich nur „bis auf weiteres“. Und seine Stellung ward mit jedem 
Tage unhaltbarer. Karl verwahrte sich sogleich wider den Bundesbeschluß; 
er erklärte dem Könige von Preußen: einem seiner „souveränen Mit- 
fürsten“ wolle er wohl die Verwaltung des Landes anvertrauen, doch 
nimmermehr diesem Bruder; und drei Wochen darauf bot er selber dem 
Bruder an, ihn zum Mitregenten oder zum provisorischen Regenten zu er- 
nennen, aber immer mit dem Vorbehalte: „niemals werde ich auf meine Lan- 
deshoheits= und Regierungsrechte zu Gunsten eines dritten verzichten.““) 
Als Herzog Wilhelm auf diese unklaren und schwerlich ehrlich gemeinten 
Vorschläge nicht einging, wurde er von dem Flüchtling mit Schmähungen 
überschüttet. Wie durfte man ihm zumuten, auf die Dauer die Statt- 
halterschaft zu führen für einen Fürsten, der ihn soeben mit den Waffen 
anzugreifen versucht hatte, der ihn öffentlich als Rebellen und Verräter 
brandmarkte? Das neue Ministerium, das er sich aus tüchtigen Männern 
gebildet und der gewandten Leitung des Frhrn. von Schleinitz unterstellt 
hatte, war schon längst der Meinung, daß der Herzog die Regierung de- 
finitiv übernehmen müsse.““") Wie ein Mann forderte das ganze Land 
*) K. Wilhelms IV. Antwort auf die Adresse des Landständ. Ausschusses, 21. Nov. 
**) H. Karl an K. Friedrich Wilhelm, 1. Jan., an H. Wilhelm, 25. 26. Jan. 1831. 
**7) Schreiben des braunschweigischen Ministeriums an den hannöv. Minister v. 
Stralenheim, 4. 5. Dez. 1830.
	        
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