Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Anträge der Agnaten am Bundestage. 117 
Verständigung mit Österreich unmöglich sei.') Wenn die Großmächte 
sich nicht einigen konnten, so noch weit weniger die anderen Bundes- 
staaten. Ein kläglicher Anblick, wie die kleinen Ameisen in dem Sand- 
haufen des Bundesrechts ängstlich durcheinander wimmelten, nachdem 
der Stecken der Revolution seine Furchen querdurch gezogen hatte. Wie- 
der begann Graf Münch seine alten Künste, und wieder zog der Streit 
sich unabsehbar in die Länge. 
Mittlerweile gestaltete sich die Lage des Herzogtums täglich unleid- 
licher. Die Braunschweiger nannten den jungen Welfen in Reden und 
Schriften „unseren rechtmäßigen, durch den Willen des Volkes erwählten 
Fürsten“, sie waren mit ihrer revolutionären Rechtsweisheit längst im 
reinen. Ihr Oberappellationsrat K. F. von Strombeck, ein Bureau- 
krat aus der Schule des Königreichs Westfalen, hatte ihnen schon bald 
nach dem Schloßbrande in einer Flugschrift die Frage beantwortet: „Was 
ist Rechtens, wenn die oberste Staatsgewalt dem Zwecke des Staatsver- 
bandes entgegenhandelt?“ Da wurden aus der alten, von der historischen 
Rechtsschule längst überwundenen Staatsvertragslehre schnellfertig kecke 
Schlüsse gezogen, die der Halbbildung einleuchten mußten: wenn der Fürst 
seine Vertragspflichten verletzt, so sind die Untertanen ihrerseits berechtigt, 
ihm den Gehorsam aufzukündigen. Die neue Regierung fühlte selbst sehr 
lebhaft, daß solche Doktrinen das Wesen der Monarchie aufheben; sie 
hätte ihren unbequemen Verteidiger gern bestraft, aber sie wagte es 
nicht, weil sie Unruhen besorgte.*) Ihre Furcht stieg noch, als im März 
ruchbar wurde, daß die Erklärung der Agnaten im Bundestage auf Wider- 
spruch gestoßen sei. Länger wollte das Land die quälende Ungewißheit 
nicht mehr ertragen; mit wachsender Erbitterung besprach man die Lage, 
und schon ward die Frage laut, ob man nicht durch Selbsthilfe dem 
zaudernden Bundestage zuvorkommen solle. Am 25. April stand das 
Geburtsfest des Herzogs Wilhelm bevor, das ganze Ländchen rüstete sich 
den Tag festlich zu begehen. Wie nun, wenn alle Gemeinden dann 
gleichzeitig dem neuen Landesherrn freiwillig den Huldigungseid leisteten? 
Der Plan konnte sehr leicht gelingen, er entsprach den allgemeinen 
Wünschen, und Herzog Wilhelm war nicht der Mann, ihn gewaltsam zu 
hintertreiben; gelang er aber, so erlebte Deutschland das für einen Fürsten- 
bund hochgefährliche Beispiel einer demokratischen Fürstenwahl, und wer 
sollte dann die vollzogene Kundgebung der Volkssouveränität rückgängig 
machen? 
*) Graf Maltzahns Bericht, Hannover 6. März. Weisung an Frhrn. v. Maltzahn 
in Wien, 24. März 1831. 
**) Schreiben des braunschw. Ministeriums an den Bundesgesandten v. Marschall, 
21. Nov. 1830. 
*?*) Berichte des Grafen Maltzahn, Hannover 29. März, 1. April. Graf Veltheim 
an Bernstorff, 11. April 1831. 
 
	        
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