Anträge der Agnaten am Bundestage. 117
Verständigung mit Österreich unmöglich sei.') Wenn die Großmächte
sich nicht einigen konnten, so noch weit weniger die anderen Bundes-
staaten. Ein kläglicher Anblick, wie die kleinen Ameisen in dem Sand-
haufen des Bundesrechts ängstlich durcheinander wimmelten, nachdem
der Stecken der Revolution seine Furchen querdurch gezogen hatte. Wie-
der begann Graf Münch seine alten Künste, und wieder zog der Streit
sich unabsehbar in die Länge.
Mittlerweile gestaltete sich die Lage des Herzogtums täglich unleid-
licher. Die Braunschweiger nannten den jungen Welfen in Reden und
Schriften „unseren rechtmäßigen, durch den Willen des Volkes erwählten
Fürsten“, sie waren mit ihrer revolutionären Rechtsweisheit längst im
reinen. Ihr Oberappellationsrat K. F. von Strombeck, ein Bureau-
krat aus der Schule des Königreichs Westfalen, hatte ihnen schon bald
nach dem Schloßbrande in einer Flugschrift die Frage beantwortet: „Was
ist Rechtens, wenn die oberste Staatsgewalt dem Zwecke des Staatsver-
bandes entgegenhandelt?“ Da wurden aus der alten, von der historischen
Rechtsschule längst überwundenen Staatsvertragslehre schnellfertig kecke
Schlüsse gezogen, die der Halbbildung einleuchten mußten: wenn der Fürst
seine Vertragspflichten verletzt, so sind die Untertanen ihrerseits berechtigt,
ihm den Gehorsam aufzukündigen. Die neue Regierung fühlte selbst sehr
lebhaft, daß solche Doktrinen das Wesen der Monarchie aufheben; sie
hätte ihren unbequemen Verteidiger gern bestraft, aber sie wagte es
nicht, weil sie Unruhen besorgte.*) Ihre Furcht stieg noch, als im März
ruchbar wurde, daß die Erklärung der Agnaten im Bundestage auf Wider-
spruch gestoßen sei. Länger wollte das Land die quälende Ungewißheit
nicht mehr ertragen; mit wachsender Erbitterung besprach man die Lage,
und schon ward die Frage laut, ob man nicht durch Selbsthilfe dem
zaudernden Bundestage zuvorkommen solle. Am 25. April stand das
Geburtsfest des Herzogs Wilhelm bevor, das ganze Ländchen rüstete sich
den Tag festlich zu begehen. Wie nun, wenn alle Gemeinden dann
gleichzeitig dem neuen Landesherrn freiwillig den Huldigungseid leisteten?
Der Plan konnte sehr leicht gelingen, er entsprach den allgemeinen
Wünschen, und Herzog Wilhelm war nicht der Mann, ihn gewaltsam zu
hintertreiben; gelang er aber, so erlebte Deutschland das für einen Fürsten-
bund hochgefährliche Beispiel einer demokratischen Fürstenwahl, und wer
sollte dann die vollzogene Kundgebung der Volkssouveränität rückgängig
machen?
*) Graf Maltzahns Bericht, Hannover 6. März. Weisung an Frhrn. v. Maltzahn
in Wien, 24. März 1831.
**) Schreiben des braunschw. Ministeriums an den Bundesgesandten v. Marschall,
21. Nov. 1830.
*?*) Berichte des Grafen Maltzahn, Hannover 29. März, 1. April. Graf Veltheim
an Bernstorff, 11. April 1831.