Der Umschwung in Deutschland. 7
überlassen; jetzt scharten sie sich fester zusammen und bekämpften die
Lehren der Revolution in unabhängigen Zeitschriften. Bald darauf
trat die ultramontane Partei, eine geschlossene, weithin über Deutschland
verzweigte Macht, mit einem Schlage auf den Kampfplatz. In der
liberalen Welt wogten die Wünsche und Gedanken noch wirr durchein—
ander, aber einzelne Sätze der Parteidoktrin wurden allmählich zum
Gemeingut aller, und selbst dem noch völlig unklaren Einheitsdrange
der Nation zeigte sich in weiter Ferne endlich ein erkennbares Ziel, seit
süddeutsche Liberale zuerst von einem deutschen Parlamente und von
der preußischen Hegemonie zu reden wagten.
In so krankhaft erregter Zeit mußte die Dichtung verwildern. Der
gespreizte, grelle und dennoch kraftlose Feuilletonstil verdrängte den Adel der
Form, die rohe Tendenz den künstlerischen Gedanken, alles was deutschen
Herzen heilig, wurde von den literarischen Helden des Tages beschmutzt
und verhöhnt. Doch bis zu den Höhen der deutschen Bildung schlugen
die schlammigen Wellen dieses Radikalismus nicht empor. Eben jetzt
erschien Goethes letzte und tiefsinnigste Dichtung; unbeirrt durch das Ge-
schrei des Marktes schritten Böckh und Ritter, die Brüderpaare Grimm
und Humboldt ihre Bahn; in Rankes Werken bewährte die Kunst der
Geschichtschreibung ihre Meisterschaft; Dahlmann vertiefte die liberale
Parteidoktrin und befruchtete sie mit den Ideen der historischen Rechts-
schule; die Theologie wurde durch einen leidenschaftlichen Parteikampf
aufgerüttelt und gezwungen, den historischen Unterbau ihrer Lehren einer
schonungslosen Kritik zu unterwerfen; auch in den exakten Wissenschaften
traten junge Talente auf, den Wettlauf mit dem Auslande zu wagen.
Also blieben auch in diesem Jahrzehnt, das selber friedlos so viel Un-
frieden säte, die schöpferischen Kräfte unserer Geschichte noch immer
wirksam. —
Das Nahen einer großen Umwälzung war von einsichtigen Be-
obachtern der französischen Zustände längst vorausgesehen. Sobald König
Karl X. das gemäßigte Ministerium Martignac hatte berufen müssen,
erlangte der Liberalismus wieder die Herrschaft über die öffentliche
Meinung, und er griff um sich mit unwiderstehlicher Gewalt; denn eine
gänzlich demokratisierte Gesellschaft gleicht einer Herde, die beiden leben-
digsten Kräfte des modernen französischen Charakters, der Nationalstolz und
die sittliche Feigheit, führen jeder augenblicklich obenauf kommenden Partei
täglich neue Anhänger zu. Damals schon schrieb der preußische Gesandte
von Werther: „Jetzt die ultramontane Partei zur Macht berufen, das
heißt Frankreich einen unverzeihlichen und ungeheueren Schritt zur Revo-
lution hin machen lassen; denn diese Partei würde, verabscheut von der
Nation und unfähig, sich am Ruder zu halten, bald gezwungen sein, ent-
weder einem ultraliberalen Ministerium zu weichen oder dem Könige den
Umsturz der gegenwärtigen Verfassung anzuraten. Eine solche Tat