Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Prinz Friedrich August Mitregent. 147 
über die Kommunalgarden, die nun in allen größeren Städten zusammen— 
traten und beim Anblick des Fürsten mit der weißen Bürgerbinde ihre 
eigene Größe erst ganz empfanden. In überschwenglichen Dithyramben 
wurde „der Hochgeweihte und sein Johannes ihm zur Seite“ gefeiert, 
und als diese „sächsischen Dioskuren im Zenithe von Leipzig erschienen“, 
fand Krug kaum Worte genug für seine liberale Begeisterung. 
Der leitende Kopf bei der Arbeit der Reform war der Geh. Rat 
von Lindenau. Herzog Bernhard hieß er bei dem dankbaren thüringischen 
Volke noch von den Tagen her, da er sein Heimatland Gotha-Altenburg 
während einer Zwischenherrschaft allein regiert hatte; und die gleiche Liebe 
erwarb er sich bald auch in Kursachsen, zumal unter den Bauern, ob- 
gleich der schlichte Aristokrat alle Künste der Volksschmeichelei verschmähte. 
Ein Hauch von Schwermut lag über seinem Wesen; er hatte in der 
Jugend seine Geliebte verloren, blieb unvermählt, verwendete die Ein- 
künfte seines ansehnlichen Vermögens und vier Fünftel seines Gehalts 
für gemeinnützige Zwecke, mied die Gesellschaft so sehr, daß ihm selbst die 
Mitglieder des diplomatischen Korps nicht alle bekannt wurden, und 
widmete seine freien Stunden ganz der Wissenschaft. Die Astronomen 
schätzten ihn als einen glücklichen Forscher, seiner Leitung verdankte die 
Sternwarte auf dem Seeberge bei Gotha zum guten Teile ihren Ruf. 
Zuzeiten konnte sich der hochherzige Idealist wohl in unmögliche Pläne 
verlieren, schließlich kehrte er doch immer auf den Boden des Wirklichen 
zurück. So entsagte er jetzt der Politik des mitteldeutschen Handelsvereins, 
an den er einst so viel patriotischen Eifer verschwendet hatte, und gestand 
dem preußischen Gesandten Jordan offen: Der Wiener Hof hat uns 
glänzende Anerbietungen für die handelspolitische Verbindung gemacht, 
wir werden ihnen aber nicht Folge leisten, sondern uns dem preußischen 
Zollvereine anschließen. )) Auch für die Ablösung der bäuerlichen Lasten, 
für die Neugestaltung der Verwaltung und des Städtewesens nahm er 
sich die preußischen Gesetze zum Muster. Die Verfassung, die er plante, 
sollte zwar, wie es die Meinung des Tages forderte, die Form einer 
Charte erhalten, aber von den altständischen Überlieferungen nicht allzu- 
weit abweichen; denn mehr ließ sich von dem alten Landtage voraus- 
sichtlich nicht erlangen, und dessen Mitwirkung war unumgänglich, da 
der Prinzregent und seine Räte ihren Stolz darein setzten, daß die neue 
Ordnung rechtlich unantastbar dastehen müsse.) 
So viele Jahre daher war Sachsen der stillste aller Mittelstaaten 
geblieben; begreiflich genug, daß der Wiener Hof durch die so ganz uner- 
warteten jüngsten Vorfälle schwer beängstigt wurde. Auch aus den be- 
nachbarten Kleinstaaten liefen bedenkliche Nachrichten ein: aus Köthen 
  
*) Jordans Bericht, 25. Sept. 1830. Vergl. o. III. 652. 
*) Jordans Bericht, 1. Februar 1831. 
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