Letzte Zeiten der Restauration. 9
Von Stund an änderte sich die Lage. Der König war in den
ersten Jahren seiner Regierung nicht unbeliebt gewesen; jetzt sah er sich
von allen Seiten her mit Schmähungen und Verwünschungen überhäuft.
Der Schatten der Emigration stellte sich trennend zwischen Thron und
Volk. Man entsann sich wieder, daß dieser König und die Polignacs
einst, gleich nach dem Bastillesturme, zuerst das böse Beispiel der Aus-
wanderung gegeben, daß sie jahrelang gegen ihr Vaterland gekämpft,
daß die Sendboten des Pavillons Marsan noch lange nach der Restau-
ration die fremden Mächte beständig zur Einmischung in Frankreichs
innere Händel aufgestachelt hatten. Eine furchtbare Vergeltung sollte die
beiden ersten Emigranten noch einmal für den alten Frevel des Landes-
verrats züchtigen. Vergeblich verwahrte sich Polignac in der Kammer
dawider, daß man zwei feindliche Völker in der einen Nation schaffen,
das neue Frankreich von dem alten trennen wolle. Diese Trennung be-
stand schon längst. Die Kluft zwischen der alten und der neuen Zeit
tat sich sofort wieder gähnend auf, als dieser Mann ans Ruder trat,
der beschränkte, ehrliche, bigotte Ultra, der einst seine Verschwörungen
gegen Bonaparte mit langer Haft gebüßt und in der Einsamkeit des
Kerkers seine hart reaktionäre Gesinnung bis zum religiösen Fanatismus
gesteigert hatte. Die Blätter der Opposition übertrieben stark, als sie
nach der Juli-Revolution höhnisch bekannten, Frankreich habe fünfzehn
Jahre lang Komödie gespielt; wahr blieb doch, daß die belebende Kraft
der Monarchie, die Gesinnung angestammter Treue, trotz aller Huldigungen
für „die unbestrittene Familie“, der ungeheueren Mehrzahl der Franzosen
verloren gegangen war. Über den Wohhltaten der Restauration ver-
gaß dies Volk doch nicht, daß sein Königshaus die entscheidenden Tage
der nationalen Geschichte im Auslande, im Lager der Feinde verlebt
hatte. Den Bourbonen fehlte alles, was das Wesen der wirklichen Le-
gitimität ausmacht: sie konnten sich weder auf eine große, dem ganzen
Volke heilige Vergangenheit stützen, noch mit Gelassenheit in die Zukunft
blicken. Zudem war jetzt, da das Land sich neu gekräftigt fühlte und
die Wirren im Orient die Aussicht auf eine europäische Verwicklung zu
eröffnen schienen, die übermütige keltische Kriegslust wieder erwacht.
Vernichtung der Verträge von 1815 — so lautete der Ruf des Tages,
und die Schuld dieser Verträge schrieb die von allen Parteien um-
schmeichelte und verwöhnte Nation nicht sich selber und ihrer eigenen
Verblendung zu, sondern den Bourbonen, den Schützlingen des Auslands.
Angesichts der allgemeinen Erbitterung war das Ministerium Po-
lignac von Haus aus unhaltbar. In diesem Lande der Volkssouveränität
konnte sich keine Regierung mehr gegen den bestimmten Willen der Nation
auf die Dauer behaupten; selbst Napoleon blieb nur so lange am Ruder
als er glücklich war, als seine Siege die Eitelkeit des Volks befriedigten.
Der berechtigte Haß gegen das Kabinett ward aber noch verschärft durch