Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Letzte Zeiten der Restauration. 9 
Von Stund an änderte sich die Lage. Der König war in den 
ersten Jahren seiner Regierung nicht unbeliebt gewesen; jetzt sah er sich 
von allen Seiten her mit Schmähungen und Verwünschungen überhäuft. 
Der Schatten der Emigration stellte sich trennend zwischen Thron und 
Volk. Man entsann sich wieder, daß dieser König und die Polignacs 
einst, gleich nach dem Bastillesturme, zuerst das böse Beispiel der Aus- 
wanderung gegeben, daß sie jahrelang gegen ihr Vaterland gekämpft, 
daß die Sendboten des Pavillons Marsan noch lange nach der Restau- 
ration die fremden Mächte beständig zur Einmischung in Frankreichs 
innere Händel aufgestachelt hatten. Eine furchtbare Vergeltung sollte die 
beiden ersten Emigranten noch einmal für den alten Frevel des Landes- 
verrats züchtigen. Vergeblich verwahrte sich Polignac in der Kammer 
dawider, daß man zwei feindliche Völker in der einen Nation schaffen, 
das neue Frankreich von dem alten trennen wolle. Diese Trennung be- 
stand schon längst. Die Kluft zwischen der alten und der neuen Zeit 
tat sich sofort wieder gähnend auf, als dieser Mann ans Ruder trat, 
der beschränkte, ehrliche, bigotte Ultra, der einst seine Verschwörungen 
gegen Bonaparte mit langer Haft gebüßt und in der Einsamkeit des 
Kerkers seine hart reaktionäre Gesinnung bis zum religiösen Fanatismus 
gesteigert hatte. Die Blätter der Opposition übertrieben stark, als sie 
nach der Juli-Revolution höhnisch bekannten, Frankreich habe fünfzehn 
Jahre lang Komödie gespielt; wahr blieb doch, daß die belebende Kraft 
der Monarchie, die Gesinnung angestammter Treue, trotz aller Huldigungen 
für „die unbestrittene Familie“, der ungeheueren Mehrzahl der Franzosen 
verloren gegangen war. Über den Wohhltaten der Restauration ver- 
gaß dies Volk doch nicht, daß sein Königshaus die entscheidenden Tage 
der nationalen Geschichte im Auslande, im Lager der Feinde verlebt 
hatte. Den Bourbonen fehlte alles, was das Wesen der wirklichen Le- 
gitimität ausmacht: sie konnten sich weder auf eine große, dem ganzen 
Volke heilige Vergangenheit stützen, noch mit Gelassenheit in die Zukunft 
blicken. Zudem war jetzt, da das Land sich neu gekräftigt fühlte und 
die Wirren im Orient die Aussicht auf eine europäische Verwicklung zu 
eröffnen schienen, die übermütige keltische Kriegslust wieder erwacht. 
Vernichtung der Verträge von 1815 — so lautete der Ruf des Tages, 
und die Schuld dieser Verträge schrieb die von allen Parteien um- 
schmeichelte und verwöhnte Nation nicht sich selber und ihrer eigenen 
Verblendung zu, sondern den Bourbonen, den Schützlingen des Auslands. 
Angesichts der allgemeinen Erbitterung war das Ministerium Po- 
lignac von Haus aus unhaltbar. In diesem Lande der Volkssouveränität 
konnte sich keine Regierung mehr gegen den bestimmten Willen der Nation 
auf die Dauer behaupten; selbst Napoleon blieb nur so lange am Ruder 
als er glücklich war, als seine Siege die Eitelkeit des Volks befriedigten. 
Der berechtigte Haß gegen das Kabinett ward aber noch verschärft durch
	        
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