166 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
sondern ließ sich nur von der Strömung der Zeit treiben, und versicherte
dem Bruder herzlich, daß er bei dem Entwurfe besonders an die Inter—
essen seiner Nachfolger gedacht habe, „an Sie und Ihren hoffnungsvollen
Sohn. Es schien mir von der äußersten Wichtigkeit für die Wohlfahrt
und das Glück des Landes und für Ihre eigene Behaglichkeit und Ruhe,
daß Sie von den mir gemachten Vorschlägen vollständig unterrichtet wür—
den.“ Die Bedenken des Herzogs gegen die Offentlichkeit und die Tage—
gelder fand der König wohlbegründet; er versprach, daß sie von der
Regierung erwogen und nach den Umständen berücksichtigt werden sollten.)
Und er hielt Wort. Lediglich dem Thronfolger zuliebe wurde die dem
Landtage so oft verheißene Offentlichkeit dahin abgeschwächt, daß den beiden
Kammern nur gestattet sein sollte, Zuhörer zuzulassen; und aus demselben
Grunde verwies man die Zusage der Diäten in ein vorläufiges Regle-
ment. Weiter ließ sich die zarte Rücksicht auf einen rechtlich bodenlosen
Einspruch in der Tat nicht treiben. Neue Einwendungen konnte die
Regierung jetzt um so weniger erwarten, da Ernst August die cinzige
Vorschrift des Staatsgrundgesetzes, welche vielleicht der Zustimmung der
Agnaten bedurfte, die dem königlichen Hause so vorteilhafte Kassenver-
einigung mit warmer Dankbarkeit gebilligt hatte.
Aber mittlerweile begann Schele seine unterirdische Arbeit; er schil-
derte dem Herzog das Staatsgrundgesetz als ein Werk ruchloser Dema-
gogen und wußte vornehmlich die Parteivorurteile des Hochtorys wider
die Zivilliste gewandt auszunutzen: die Kassenvereinigung, die fast in allen
größeren Bundesstaaten längst bestand, sollte in Hannover „das monar-
chische Prinzip“ vernichten! Aus den Berichten des Gesandten Münchhausen
in Berlin erfuhr der König bald, daß sein Bruder sich sehr abfällig über
die neuc Verfassung äußere. Als die Minister im Oktober 1833 dem
Thronfolger das erlassene Staatsgrundgesetz mitteilten und ihn fragten,
ob er seinen Sitz in der ersten Kammer einnehmen wolle, da empfingen
sie eine kurze, schnöde Antwort (29. Oktober). Der Herzog erwähnte, daß
er schon bei seinem seligen Bruder gegen die Einführung der allgemeinen
Stände protestiert habe, weil die Einwilligung der Agnaten dazu nicht
eingeholt worden sei, und schloß trocken: „Von allem, was weiter vorge-
kommen, bin ich nicht gehörig unterrichtet und kann mich deshalb auch
durch das neue Gesetz noch nicht gebunden halten.““) Die Absicht dieses
hinterhaltigen Schreibens war durchsichtig genug: zu ehrlichem Einspruch
hatte der Welfe nicht den Mut, doch für den Fall seiner Thronbesteigung
dachte er sich die Hände frei zu halten. Wollte die Regierung nicht die
ganze Zukunft des Staatsgrundgesetzes gefährden, so mußte sie, nach einer
solchen Probe welfischer Zweizüngigkeit, von dem Thronfolger eine un-
*) König Wilhelm an Cumberland, 3. Nov. 1831.
**) Cumberland an das k. Ministerium in Hannover, 29. Okt. 1833.