Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

166 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland. 
sondern ließ sich nur von der Strömung der Zeit treiben, und versicherte 
dem Bruder herzlich, daß er bei dem Entwurfe besonders an die Inter— 
essen seiner Nachfolger gedacht habe, „an Sie und Ihren hoffnungsvollen 
Sohn. Es schien mir von der äußersten Wichtigkeit für die Wohlfahrt 
und das Glück des Landes und für Ihre eigene Behaglichkeit und Ruhe, 
daß Sie von den mir gemachten Vorschlägen vollständig unterrichtet wür— 
den.“ Die Bedenken des Herzogs gegen die Offentlichkeit und die Tage— 
gelder fand der König wohlbegründet; er versprach, daß sie von der 
Regierung erwogen und nach den Umständen berücksichtigt werden sollten.) 
Und er hielt Wort. Lediglich dem Thronfolger zuliebe wurde die dem 
Landtage so oft verheißene Offentlichkeit dahin abgeschwächt, daß den beiden 
Kammern nur gestattet sein sollte, Zuhörer zuzulassen; und aus demselben 
Grunde verwies man die Zusage der Diäten in ein vorläufiges Regle- 
ment. Weiter ließ sich die zarte Rücksicht auf einen rechtlich bodenlosen 
Einspruch in der Tat nicht treiben. Neue Einwendungen konnte die 
Regierung jetzt um so weniger erwarten, da Ernst August die cinzige 
Vorschrift des Staatsgrundgesetzes, welche vielleicht der Zustimmung der 
Agnaten bedurfte, die dem königlichen Hause so vorteilhafte Kassenver- 
einigung mit warmer Dankbarkeit gebilligt hatte. 
Aber mittlerweile begann Schele seine unterirdische Arbeit; er schil- 
derte dem Herzog das Staatsgrundgesetz als ein Werk ruchloser Dema- 
gogen und wußte vornehmlich die Parteivorurteile des Hochtorys wider 
die Zivilliste gewandt auszunutzen: die Kassenvereinigung, die fast in allen 
größeren Bundesstaaten längst bestand, sollte in Hannover „das monar- 
chische Prinzip“ vernichten! Aus den Berichten des Gesandten Münchhausen 
in Berlin erfuhr der König bald, daß sein Bruder sich sehr abfällig über 
die neuc Verfassung äußere. Als die Minister im Oktober 1833 dem 
Thronfolger das erlassene Staatsgrundgesetz mitteilten und ihn fragten, 
ob er seinen Sitz in der ersten Kammer einnehmen wolle, da empfingen 
sie eine kurze, schnöde Antwort (29. Oktober). Der Herzog erwähnte, daß 
er schon bei seinem seligen Bruder gegen die Einführung der allgemeinen 
Stände protestiert habe, weil die Einwilligung der Agnaten dazu nicht 
eingeholt worden sei, und schloß trocken: „Von allem, was weiter vorge- 
kommen, bin ich nicht gehörig unterrichtet und kann mich deshalb auch 
durch das neue Gesetz noch nicht gebunden halten.““) Die Absicht dieses 
hinterhaltigen Schreibens war durchsichtig genug: zu ehrlichem Einspruch 
hatte der Welfe nicht den Mut, doch für den Fall seiner Thronbesteigung 
dachte er sich die Hände frei zu halten. Wollte die Regierung nicht die 
ganze Zukunft des Staatsgrundgesetzes gefährden, so mußte sie, nach einer 
solchen Probe welfischer Zweizüngigkeit, von dem Thronfolger eine un- 
  
*) König Wilhelm an Cumberland, 3. Nov. 1831. 
**) Cumberland an das k. Ministerium in Hannover, 29. Okt. 1833.
	        
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