Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

168 IV. 2. Die konstitutionelle Bewegung in Norddeutschland. 
Und zwischen allen diesen Winkelzügen immer wieder die biedere Ver— 
sicherung: ich sage meine Ansicht immer frei und offen, ich denke immer 
nur an die Sache, nicht an die Person! Selbst der untertänige Lichten— 
berg wagte am Schlusse seines ersten Berichts nur zu bemerken, daß der 
Eindruck der Unterredung auf den Herzog „wenigstens kein durchaus 
ungünstiger zu sein schien“. ) Den Ministern aber konnte nach allem, 
was geschehen, nicht mehr zweifelhaft bleiben, daß der Thronfolger die 
Verfassung umstoßen wollte, und daß er in seinem frechen Hochmut sich 
einbildete, er brauche nur dem bestehenden Rechte die Anerkennung zu 
versagen, dann sei es auch schon vernichtet. Gleichwohl taten sie nichts 
mehr, um der drohenden Gefahr vorzubeugen. Sie wußten wohl, daß 
staatsrechtliche Belehrungen bei dem harten Eigensinn dieses Welfen nichts 
auszurichten vermochten; doch schmeichelten sie sich mit der Hoffnung, 
der von Gläubigern verfolgte Herzog werde einen Staatsstreich nicht wagen 
können; schlimmsten Falls rechneten sie auf den Schutz des Bundestags 
für die neue, unzweifelhaft „in anerkannter Wirksamkeit stehende“ Ver- 
fassung. 
Bei der Beratung des Hausgesetzes, das sich an die Verfassung 
anschließen sollte, verfuhr der Herzog ebenso hinterhaltig. Allem Anschein 
nach hat er auch hier zuerst in unverbindlicher Form sein Einverständnis 
kundgegeben, um sich nachher die endgültige Erklärung für die Zukunft vor- 
zubehalten. Dahlmann, der den Entwurf des Hausgesetzes ausarbeitete, 
erhielt im April 1834 vom Minister Stralenheim die amtliche Mitteilung, 
daß „die Zustimmung der volljährigen königlichen Prinzen erfolgt sei“, 
— eine Versicherung, die unmöglich ganz grundlos sein konnte. Im 
Dezember 1835 aber schrieb Ernst August an Kabinettsrat Falcke, er 
könne als ehrlicher Mann das Hausgesetz für jetzt noch nicht unterzeichnen, 
weil es so fest mit dem Staatsgrundgesetz zusammenhänge. Eine frei- 
mütige Rechtsverwahrung wagte er auch jetzt nicht einzulegen, er sagte 
nur, auf die Zukunft vertröstend: „Ich muß viel mehr Hilfe und Rat 
haben, bevor ich mir erlauben kann, einen so ernsten Schritt zu tun.“ 
Demungeachtet wurde das Hausgesetz am 19. Nov. 1836, nachdem der 
Landtag zugestimmt, als ein für jedermann, auch für die königlichen Prinzen 
verbindliches Gesetz kundgemacht. Cumberland aber zeigte mit wachsender 
Dreistigkeit, daß die neue Verfassung für ihn nicht vorhanden sei. In der 
Zeitschrift seiner Getreuen, dem Berliner Politischen Wochenblatt, wurde 
das Staatsgrundgesetz wie eine jakobinische Tollheit bekämpft. Seinen Sitz 
in der Kammer nahm der Herzog niemals ein, und als er einmal zur Zeit 
einer Landtagseröffnung in Hannover weilte, verließ er die Stadt in dem- 
selben Augenblick, da die Stände zusammentraten, um in Derneburg den 
grollenden Münster zu besuchen. 
  
*) Lichtenbergs Berichte an das Ministerium, 28. Febr., 27. März 1834.
	        
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