Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

J. U. Lornsen. 171 
tugend preisen: rum Hart, klar Kimming, das weite Herz, den freien Ge— 
sichtskreis; er hoffte dereinst noch für ganz Deutschland politisch zu wirken. 
Als er nun im Herbst 1830 nach den Herzogtümern zurückkehrte, 
um das Amt des Landvogts auf seiner heimatlichen Insel Sylt anzu— 
treten, da erkannte er sofort, daß jetzt der Augenblick gekommen sei, den 
eingeschüchterten König-Herzog durch Petitionen und Versammlungen zur 
Verleihung einer Verfassung zu bewegen. In Kiel und Flensburg ver— 
ständigte er sich mit angesehenen Männern des Bürgertums, während 
der geistreiche junge Nationalökonom Georg Hanssen unter den Bauern 
im östlichen Holstein Anhänger warb. Um die Bewegung auf ein festes 
Ziel zu richten, schrieb Lornsen sodann ein Schriftchen von elf Seiten 
„über das Verfassungswerk in Schleswig-Holstein“. Er verwies darin auf 
die Gebrechen der Verwaltung, auf die Heimlichkeit des Staatshaushalts 
und forderte kurzab einen gemeinsamen Landtag für beide Herzogtümer, 
da die Bundesakte den Holsten Landstände verheiße, die Trennung der 
Herzogtümer aber „jedem Schleswig-Holsteiner schlechthin undenkbar“ sei. 
Mehr als ein Viertel der Volksvertretung wollte er dem Adel nicht gönnen; 
denn „fortan wird allein die überzeugung des großen Mittelstandes, bei 
dem die physische und intellektuelle Macht wohnt, die Welt regieren; und 
alles, was sich gegen diese Uberzeugung erhebt, machtlos daran zerschellen.“ 
Dazu Verlegung aller Behörden in die deutschen Lande, ein oberster 
Gerichtshof für Schleswig-Holstein, in jedem Herzogtum ein Regierungs— 
kollegium und über beiden ein Staatsrat nach dem Vorbilde Norwegens; 
mithin Unabhängigkeit von Dänemark in allen inneren Angelegenheiten: 
„nur der König und der Feind seien uns gemeinschaftlich.“ Mit nach— 
drücklichen Worten mahnte Lornsen schließlich seine Landsleute, der un— 
berechenbaren Zukunft zu gedenken und nicht blindlings der Person 
des gegenwärtigen Königs zu vertrauen, „dem wir die Unsterblichkeit 
wünschen. Unser König ist kein gemachter, sondern ein geborener Bürger— 
könig.“ 
Kaum begonnen brach das kühne Unternehmen schon zusammen. 
Die Ritterschaft erklärte sich dawider, weil sie den bürgerlichen, liberalen 
Zug der Bewegung fürchtete, und versicherte dem Könige in einer Er— 
gebenheitsadresse, die Anforderungen der Zeit müßten allerdings berück— 
sichtigt werden, aber ohne übereilung. Noch lebhafter eiferten der hoch— 
konservative Herzog von Augustenburg und sein Bruder Prinz Friedrich 
von Noer gegen den gefährlichen Demagogen. Selbst die Bürger und 
Bauern wurden scheu, sobald der Kieler Stadtrat den kleinmütigen 
Beschluß gefaßt hatte, für eine Eingabe an den König sei der gegen— 
wärtige Zeitpunkt nicht geeignet. Keine einzige Petition ging nach Kopen— 
hagen ab. Lornsen aber, der Feldherr ohne Heer, wurde noch im No— 
vember verhaftet, und dem kranken Manne versagte die Kraft; er wagte 
weder die Einleitung eines öffentlichen fiskalischen Verfahrens zu fordern,
	        
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