180 IV. 3. Preußens Mittelstellung.
den Maschinen! Der König ließ die Stadträte seiner Hauptstadt sehr un-
gnädig an, und Bernstorff klagte im ersten Schrecken über „dies neue Sym-
ptom jenes Schwindel-= und Wahngeistes, der leicht ganz Europa in ein
großes Narrenhaus verwandeln kann.““*) Aber der Spuk verflog, sobald die
Truppen, ohne zu feuern, einige Hiebe mit der blanken Waffe ausgeteilt
hatten, und der Berliner Schneiderkrawall wäre rasch der Vergessenheit
anheimgefallen, wenn nicht Chamisso dem „Kleidermacher-Mute“ in
seinem Liede: Courage, Courage! ein dauerndes Denkmal gesetzt hätte.
Selbst in Posen wurde die Ordnung nirgends gestört, trotz der fieberischen
Aufregung des Adels und trotz der Zuzüge, die heimlich über die polnische
Grenze gingen. —
Nur auf einem entlegenen Außenposten seiner Hausmacht, in Neuen-
burg, mußte König Friedrich Wilhelm für seinen Besitzstand kämpfen.
Mit dem preußischen Staate hatte das schöne Juraländchen schlechterdings
nichts gemein als das Herrscherhaus und dessen Erbfolgeordnung; und
so gewissenhaft wahrten die Hohenzollern von jeher dies Rechtsverhältnis
der reinen Personalunion, daß sogar die neuenburgischen Offiziere, die
im französischen Heere gegen Preußen fochten, nach der Schlacht von Roß-
bach ungestraft als ehrliche Kriegsgefangene behandelt wurden. Nach dem
unglücklichen Schönbrunner Vertrage erhielt Marschall Berthier die Fürsten-
krone, aber sofort nach Napoleons Sturze wurde die hundertjährige Ver-
bindung mit dem Hause Hohenzollern wieder angeknüpft; die Herstellung
vollzog sich in allen Formen Rechtens, Berthier verzichtete ausdrücklich
und erhielt von der Krone Preußen eine Entschädigungsrente. Mit
heller Freude empfingen die Neuenburger sodann ihren alten König bei
seinem Einzuge.
Solange der Lord Marshal und die anderen königlichen Gouver-
neure der fridericianischen Tage ihr mildes und sorgsames Regiment
führten, war die Eintracht zwischen Fürst und Volk immer ungestört
geblieben. Die Gemeinden erfreuten sich ihrer uralten Freiheiten; die
Landesverwaltung wurde unentgeltlich und — mit einziger Ausnahme
des königlichen Gouverneurs — ausschließlich von Landeskindern besorgt,
aber die stolzen Patriziergeschlechter, welche die Amter zu bekleiden pflegten,
durften hier nicht, wie überall sonst in der alten Schweiz, ihre Macht zu
oligarchischem Drucke mißbrauchen, weil die Gerechtigkeit der Monarchie sie
in Schranken hielt. Steuern blieben den Neuenburgern in diesen könig-
lichen Zeiten ganz unbekannt, der Ertrag der Domänen und Regalien
nebst einigen Grundzinsen genügte vollauf; der König bezog ein Einkommen
von 27000 Talern, das er regelmäßig zu gemeinnützigen Zwecken im
Lande selbst verwendete. Und wie wunderbar war der Wohlstand auf-
*) Blittersdorffs Bericht, 30. September. Bernstorff, Weisung an Maltzahn,
20. September 1830.