Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Die Juliordonnanzen. 13 
Krone ungeschmälert seinen Nachfolgern vermachen und strafbare Umtriebe 
zu unterdrücken wissen. Er sagte nichts, was ihm nicht zustand, jedoch den 
erregten Hörern klangen seine Worte wie eine Drohung. Die Kammer 
antwortete durch eine unehrerbietige Adresse; sie beschwerte sich über das 
Mißtrauen des Monarchen und stellte den Grundsatz auf: die fortwäh— 
rende Übereinstimmung der Ansichten der Regierung mit den Wünschen 
des Volks ist die unerläßliche Bedingung des regelmäßigen Ganges der 
öffentlichen Angelegenheiten. Derselbe Royer-Collard, der vormals das 
parlamentarische Regierungssystem als den Tod der Monarchie bezeichnet 
hatte, verlas jetzt vor König Karl die Adresse, welche dies System für 
allein zulässig erklärte. Sofort befahl der König die Vertagung der Kam- 
mern. Welch ein wüster, unaufrichtiger, gegenstandsloser Zank brodelte 
wieder einmal aus dem Hexenkessel der keltischen Leidenschaft empor! Die 
Kammer verlangte von der Krone die Entlassung eines Kabinetts, das noch 
nichts getan, und der König trieb die Volksvertreter auseinander, bevor 
sie noch irgendeinen Vorschlag der Regierung verworfen hatten! Eben 
in diesen Tagen banger Spannung schritt Viktor Hugos Hernani zum 
ersten Male über die Bretter, die formlose Ausgeburt einer überhitzten 
Phantasie; der jubelnde Beifall der Zuschauer bekundete, daß die Nation 
ihrer klassischen Ideale müde und auch eine literarische Revolution im 
Anzug war. Im Mai erfolgte die Auflösung der Kammer. Aus einem 
heftigen Wahlkampfe ging die bisherige Mehrheit, erheblich verstärkt, als 
Siegerin hervor, was außer dem Könige und seinen Vertrauten jeder- 
mann vorausgesehen hatte. Der Minister aber ließ sich nicht beirren, 
fester denn je war er von seinem Rechte überzeugt. Er sagte: der König 
würde, wie sein Bruder, das Schafott besteigen, wenn er uns entließe! — 
und betrieb nun erst ernstlich den Plan eines Staatsstreichs.) 
Von den fremden Gesandten hielt nur noch der Nuntius Lambruschini 
bei dem Freunde aus. Selbst Graf Apponyi, der bisher der apostolischen 
Partei sehr nahe gestanden, zog sich, als die Entscheidung nahte, behutsam 
zurück, wie vorher schon Lord Stewart; Werther dagegen und Pozzo di Borgo 
hatten sich von vornherein zu diesem Kabinett kein Herz fassen wollen. Die 
großen Mächte verdammten alle die Haltung der Kammern, aber alle 
warnten auch vor der vermessenen Torheit eines Verfassungsbruchs.) 
Es war vergeblich. Am 25. Juli unterzeichnete der König die verhäng- 
nisvollen Ordonnanzen, die auf Grund des vieldeutigen Art. 14 der 
Charte das Wahlgesetz abänderten, die Preßfreiheit suspendierten, die neu- 
gewählte Kammer auflösten. Die Krone setzte sich selber ins Unrecht, 
gab ihren Feinden den erwünschten Vorwand als unschuldige Verteidiger 
der Verfassung aufzutreten. Am übernächsten Tage brach der Aufruhr 
  
*) Werthers Bericht, 27. Juni 1830. 
**) Bernstorff an Werther 14. Mai, Werthers Berichte 22. Mai, 10. Juni 1830.
	        
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