Die polnischen Flüchtlinge in Preußen. 209
auf die schwache preußische Wachtmannschaft ein, und der kommandierende
Offizier ließ nach wiederholten Mahnungen endlich in den meuternden
Haufen schießen. Augenblicklich fielen die Tapferen allesamt platt auf
die Erde, und ein gutmütiges Bäuerlein rief schon klagend: „ach Gott,
die armen Leute sind alle tot;“ aber alsbald erhob sich die Mehrzahl
wieder, um das Weite zu suchen. Neun lagen tot, etwa zwölf verwundet
auf dem Platze; die Flüchtlinge wurden von den erbitterten Bauern
wieder eingefangen und ließen sich nunmehr geduldig abführen. So
endeten die letzten Zehn vom vierten Regiment. Endlich im Frühjahr
war das Land von den ungebetenen Gästen befreit. Bis zuletzt hielt der
König streng darauf, daß keiner ausgeliefert wurde, dem die Begnadigung
nicht sicher war, „da es nicht in der Absicht liegen kann, diese Schutz
suchend ins preußische Gebiet hinübergekommenen Mannschaften einem un—
gewissen Schicksal entgegenzusenden.“ Vergeblich verlangte Zar Nikolaus
mehrmals, daß man ihm mindestens die Hauptschuldigen übergeben möge.
Etwa 700 Mann, die von der Amnestie ausgeschlossen waren oder jede
Gnade verschmähten, wurden schließlich zu Schiff nach Amerika gebracht und
meuterten auf der See abermals, so daß man sie in Havre absetzen mußte.
Ebenso schonend verfuhr Preußen gegen seine eigenen polnischen Unter—
tanen. Die Stimmung unter den Slachtizen und Kaplänen in Posen
war eine Zeitlang sehr schwierig, die erhitzten Köpfe sahen den weißen
Adler auf dem Rathausturme, den die Zeit längst geschwärzt hatte,
schon wieder weiß werden. Der König tat nur das Notwendige, als
er die Teilnahme am Aufstande für Landesverrat erklärte. Nach dem
Kriege aber verkündete er eine Amnestie für alle, die in bestimmter
Frist heimkehrten. Trotzdem mußten die Gerichte noch gegen mehr als
1600 Personen einschreiten. Ihrer 1400 wurden verurteilt, 1200 davon
gänzlich begnadigt. 180 Verurteilten erließ man die Geldstrafen ganz,
die Freiheitsstrafen zur Hälfte. Nur 22 reiche Grundherren, deren Ver-
mögen von Rechts wegen gänzlich eingezogen werden sollte, mußten ein
Fünftel davon als Geldstrafe zahlen, und der König ließ die Summen
den Unterrichtsanstalten zuweisen.
Was war der Lohn für diese beispiellose, offenbar unvorsichtige
Milde? Ein unermeßliches Wutgeschrei in der gesamten liberalen Presse
Europas. Das Pariser polnische Nationalkomitee klagte den König vor
aller Welt an wegen des schauderhaften Meuchelmords von Fischau:
„Niemals werden wir es vergessen, daß diese Frevel auf einem Boden
stattfanden, der einst polnisch war, daß die Ahnen derer, die unsere Mit-
bürger meuchelmorden, einst Polen zinsbar gewesen!“ Und um diesen
Anspruch auf Preußens Zinsbarkeit näher zu erläutern, zeichnete der Vor-
sitzende des Komitees, Lelewel (auch er war ein Deutscher, des Namens
Löllhöfel) eine Karte des wiederhergestellten Polenreichs, welche nicht nur
das Ordensland, sondern auch große Stücke von Brandenburg und
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 14