Unruhen im Großherzogtum Hessen. 223
Preußen. Die kleinbürgerliche Selbstüberhebung der süddeutschen Liberalen
erschien ihm lächerlich; er kannte die bescheidene Macht seines Großherzog—
tums und meinte unbefangen: Gesandte solle ein deutscher Mittelstaat nur
in Berlin und Wien halten, bei den kleinen Höfen sei eine diplomatische
Vertretung überflüssig, bei den fremden meist schädlich; „wenn die Ge—
sandtschaft in Paris je wichtig wird, so steht es schlimm um Deutschland.“
Obwohl er nach seinen strengkonservativen Neigungen der altständischen
Verfassung entschieden den Vorzug gab, so sah er doch ein, daß in der
demokratisierten Gesellschaft des deutschen Südens nur noch das Repräsen—
tativsystem möglich sei. Aber im Gefühle seiner Überlegenheit behandelte
er die Gegner geringschätzig, da sie ihm so oft kleinliche und törichte
Bedenken in den Weg warfen, und bald kam er so weit, daß er jeden
Liberalen für einen Narren oder einen gefährlichen Menschen ansah.“)
Der Landtag von 1830 ging noch in Frieden auseinander; doch im
Lande hielt die Gärung an. Einige der jüngeren Beamten waren aus
der radikalen alten Gießener Burschenschaft, aus den Kreisen der Schwarzen
und der Unbedingten hervorgegangen; andere wurden nach der Volks-
bewegung, wegen inhumanen Benehmens und paschamäßigen Verfahrens,
von ihren Amtern suspendiert, versetzt oder pensioniert. So bildete sich
ein Stamm von Unzufriedenen, und der junge Nachwuchs dachte nicht
friedfertiger, da der Gießener Kurator Arens durch gehässige Verfolgungen
den Trotz der Jugend herausforderte. *) Der Offenbacher Bund „der
Sektionen“ und andere geheime Vereine nährten die Verstimmung. „Das
Blutbad von Södel“ ward dem Volke als ein ungeheuerlicher Frevel
geschildert, obgleich die Regierung eine Untersuchung einleitete und einige
der schuldigen Soldaten bestrafen ließ. Noch stärker wirkte das ver-
führerische Beispiel der badischen Nachbarn, da die beiden gefeierten Karls-
ruher Volksmänner Itzstein und Welcker aus Hessen stammten und mit
den alten Landsleuten in Verbindung blieben. —
Dort in Baden erlebte der parlamentarische Liberalismus der Klein-
staaten jetzt seine Blütezeit. Wenige Tage vor dem hessischen Großherzog,
im März 1830 war auch Großherzog Ludwig von Baden gestorben, und als
nunmehr der erste der hochbergischen Markgrafen Leopold ohne jeden Wider-
stand die Regierung übernahm, da fühlte das Land sich erst seiner Selb-
ständigkeit sicher. Man meinte durch die vollendete Tatsache und durch
die Anerkennung der großen Mächte geschützt zu sein wider die begehrlichen
Anschläge der Wittelsbacher — eine Hoffnung, die sich doch nicht sogleich
erfüllen sollte. Großherzog Leopold war ein Fürst von seltener Herzens-
güte, ehrlich gewillt, sein Land zu beglücken; seine gemütliche Leutselig-
*) Ich benutze hier die Aufzeichnungen du Thils, die ich inzwischen vollständiger
eingesehen habe.
**) Arnims Bericht, Darmstadt, 25. September 1831.