Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

226 IV. 4. Landtage und Feste in Oberdeutschland. 
des vorsichtigen, wohlwollenden Partikularismus fand Winter nur wenige 
zuverlässige Gehilfen. Da das kleine Land kein anderes diplomatisches 
Talent besaß, so mußte Blittersdorff auf dem wichtigen Frankfurter 
Posten bleiben, und der Heißsporn der Reaktion trug kein Bedenken, 
eigenmächtig, oft gegen seine Weisungen, den österreichischen Bundesgesandten 
zu unterstützen, so daß der Karlsruher Hof bald in den Ruf der Zwei— 
züngigkeit geriet. In das Auswärtige Amt ward Frhr. von Türckheim 
berufen, derselbe, der vor zwölf Jahren die Vorrechte des Adels so leb- 
haft gegen Winters Angriffe verteidigt hatte,) ein Staatsmann von 
feiner Bildung und gemäßigten Grundsätzen, aber ein Aristokrat, dem 
bei der ganz bürgerlichen Weltanschauung des leitenden Beamten nicht 
immer wohl zu Mute war. 
Und diese gespaltene Regierung stand fortwährend unter dem Kreuz- 
feuer der überlegenen Nachbarhöfe. Gleich seinem Vorgänger wollte auch 
Großherzog Leopold sich treu an Preußen anschließen, schon weil er Schutz 
brauchte gegen die bayrischen Anschläge; er bat den König herzlich um 
die Bewahrung „der gütigen Gesinnung, die meinem Hause und Lande 
von jeher als Stützpunkt zugewendet waren.“) Aber während Otterstedt 
für den Zollverein und die Neugestaltung des Bundesheeres arbeitete, 
wirkte der österreichische Gesandte Graf Buol, den man doch auch nicht 
verletzen wollte, heimlich dagegen; dazwischen hinein kamen scharfe Dro- 
hungen vom Bundestage, der Münchener Hof meldete seine Erbansprüche 
an, und der französische Gesandte empfahl beharrlich einen neuen, neu- 
tralen Rheinbund. 
Und dazu die Macht der unaufhaltsam aus dem Auslande ein- 
dringenden revolutionären Ideen. Hier an der langgestreckten offenen Grenze 
war selbst die Karlsbader Zensur machtlos. Die radikalen Schweizer Zei- 
tungen überschwemmten das Oberland, sie predigten allesamt den Fürsten- 
haß und vornehmlich den Kampf wider den preußischen Zollverein. Noch 
schädlicher wirkte die Nachbarschaft Frankreichs. Nunmehr, da die über- 
mütige Kriegslust der Franzosen wieder auflebte, empfand man erst ganz, 
welch ein Pfahl im deutschen Fleische das französische Straßburg war. 
Dies drohende Ausfallstor dicht vor dem schutzlosen deutschen Oberlande 
raubte den süddeutschen Höfen allen die ruhige Sicherheit, und zugleich 
ward die alte Reichsstadt der Herd einer gewissenlosen Propaganda, welche 
jetzt weit erfolgreicher arbeitete, als einst in den Tagen der ersten Republik. 
Da die Elsässer erst seit den Agrargesetzen der Revolution und seit den 
Waffentaten des Kaiserreichs sich als Franzosen fühlten, so hegten sie 
für das alte Königshaus wenig Teilnahme, beseitigten nach den Juli- 
tagen alsbald die königlichen Lilien aus dem Straßburger Wappen und 
  
*) S. o. II. 517. 
**) Großh. Leopold an K. Friedrich Wilhelm, 22. Juni 1830.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.