16 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
Leichenzug der alten Monarchie feierlich zum Lande hinaus; langsam, in
kurzen Tagereisen zog er, umgeben von dem königlichen Hause und einer
Schar getreuer Truppen, nach Cherbourg, um dann in England eine
Zuflucht zu suchen. Unbekümmert um ihre Eide traten Heer und Be—
amtentum sofort in das Lager der Sieger über. Nur in der Vendee
flammte die alte legitimistische Kampflust noch einmal auf. Die anderen
Provinzen fügten sich ohne Widerstand; sie waren längst an die Diktatur
der Hauptstadt gewöhnt, und sie fühlten, daß die Revolution in Wahr—
heit lediglich die Spitze des Staates umgestaltet hatte. Sein Wesen, das
napoleonische Präfektursystem, blieb unverändert; nur die Kurbel der un—
geheuren Verwaltungsmaschine wurde jetzt von anderen Händen bewegt:
von den Händen der wohlhabenden Mittelklasse, die ihr Übergewicht in
der Kammer gewandt ausbeutete, um eine bürgerliche Klassenherrschaft zu
begründen, wie sie so unbeschränkt noch in keinem Großstaate der Geschichte
bestanden hatte. Die goldenen Tage der Bourgeoisie brachen an. Die
Demokratisierung der Gesellschaft brachte den Franzosen nicht, wie ihre
Doktrinäre so oft geweissagt, die Herrschaft des Talents, sondern die Herr-
schaft des Geldbeutels. Die Charte wurde sofort zum Vorteil der neuen
herrschenden Klasse umgestaltet, obgleich die Liberalen doch behaupteten,
für die Aufrechterhaltung der Charte gefochten zu haben. Mit der legitimen
Krone fiel auch die adlige Pairskammer hinweg; jedes politische Recht
ward an einen hohen Zensus geknüpft und damit jeder Unzufriedene ge-
zwungen, seinen Widerspruch zuletzt gegen das Eigentum selber zu richten.
Dank dem Wahlgzesetze, dank der Dreistigkeit amtlicher Wahlbestechung
und Wahlbeherrschung gelangten fortan fast nur noch die Mitglieder der
herrschenden Klasse in die Kammer; das parlamentarische Leben verflachte
sich, die Beredsamkeit ward matter; der Parteikampf verlor Sinn und
Inhalt, er bewegte sich nur noch um die Frage, welchen der ehrgeizigen
Fraktionsführer die Ministersessel zufallen sollten. Ebenso hart und hoch-
mütig wie einst der alte Ritteradel schaute dies pays Egal des neuen Geld-
adels auf die breiten Massen des Volkes hernieder und schmähte sie als
die gefährlichen Klassen.
Der vierte Stand aber hatte schon einmal, in den Tagen des Kon-
vents, Frankreich beherrscht und jetzt wieder durch seinen Barrikadenkampf
das alte Königtum gestürzt; er hegte ein frühreifes Selbstgefühl und
unauslöschlichen Groll gegen die escamoteurs de juillet, gegen die Reichen,
die ihm das Heft aus der Hand gewunden hatten. Bedrückt und ver-
wahrlost konnte er nichts hoffen von einer Klassenherrschaft, die das Elend
der kleinen Leute nicht einmal bemerken wollte, und erwartete sein Heil
von den hochtönenden Verheißungen der neuen sozialistischen und kom-
munistischen Lehren. Blutige Arbeiteraufstände in Paris und Lyon be-
kundeten bald, welche Fülle des Jammers und des Hasses in diesen
Niederungen der Gesellschaft angesammelt lag.