252 IV. 4. Landtage und Feste in Oberdeutschland.
danken vermuten wollte.“) Die zuversichtliche Stimmung des Münchener
Hofes änderte sich aber bald, als Dr. Siebenpfeiffer seine demagogische
Wirksamkeit begann, ein Rabulist des gemeinen Schlages, von zweifel—
haftem Charakter, federfertig, unermüdlich, gerade geistreich genug, um den
halbgebildeten Philistern als ein großer Mann zu erscheinen. Sein „Rhein-
bayern, eine Zeitschrift für die Gesetzgebung des konstitutionellen In= und
Auslandes, zumal Frankreichs“, sprach noch ziemlich gemäßigt, obwohl die
üblichen Schimpfreden wider die verfassungswidrige Zitterpappelhaftigkeit
der Beamten, wider das deutsche Sibirien Preußen, wider die Frechheit
der preußischen Aristokratenstirnen und den zum russischen Statthaltersitze
erniedrigten Thron Friedrichs des Großen auch hier nicht fehlten. Er ver-
langte nur ein selbständig regiertes Rheinbayern, etwa unter einem könig-
lichen Prinzen, aber mit feierlicher Anerkennung der in der Pfalz recht-
mäßig verkündigten französischen Erklärung der Menschenrechte, und wünschte
die Jugend staatsbürgerlich zu bilden durch Beseitigung des klassischen
Unterrichts, der überhaupt den vernunftrechtlichen Liberalen zu geistvoll
und darum verdächtig war. Was sich in den Abhandlungen einer Monats-
schrift nicht wohl sagen ließ, das verkündete Siebenpfeiffer um so deut-
licher in den kleinen Brandartikeln seines Tageblatts, des „Westboten“.
Hier sprach er aus, was er auch seinem alten Freunde Rotteck vertraulich
gestand, daß er der süßlichen Halbheiten und der konstitutionellen Lügen der
badischen Justemilianer müde sei: Thron und Republik heulen einander an,
Fürstlichkeit und Volkstum sind unverträglich, die Fürsten nur die ver-
körperte Idee des Aristokratismus. Wenn dereinst alle Oberbehörden aus
Volkswahlen hervorgehen, „dann stürzen die ausgehöhlten Throne, dann,
göttliches Recht, fliehe in die Wälder von Rußland!“ Darum wurden die
Kasseler, Braunschweiger, Dresdner verhöhnt wegen ihrer Lärmbewe-
gungen, die vor den Thronen stehen geblieben, die Nassauer aufgefordert,
„ein Lot Blei durch das falsche niedrige Herz des ehrvergessenen Ministers
Marschall zu schießen“, und der gesamten Nation zugerufen: „Welcher
deutsche Brutus reißt das Messer aus dem blutigen Leichnam der ge-
schändeten Polonia und gibt den Aufruf zur Freiheit?“
Zu Siebenpfeiffer gesellte sich der fränkische Jurist Wirth, der so
lange in der Münchener Kammer hinter den Kulissen gestanden hatte
und nun doch geraten fand, seine streitbare Feder unter den Schutz des
französischen Gerichtsverfahrens zu flüchten, ein schwärmerischer Teutone
von gutem Rufe und ehrlicher Vaterlandsliebe, aber fast noch radikaler
als sein Genosse. In seiner „Tribüne“ wurde richt nur das amerika-
nische Staatsideal verherrlicht, sondern auch schon ein verschämter Sozialis-
mus gepredigt: eine große Assoziation sollte die Kinder der Armen, je nach
ihrer Begabung, für höhere Berufe erziehen, eine Nationalkasse den kleinen
*) Küsters Berichte, 13. Aug. 1830 ff.