286 IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten.
längst gewohnt, je nach Umständen bald sich auf die Wiener Verträge zu be—
rufen, bald deren Rechtsverbindlichkeit zu bestreiten. Im Tone des besorgten
Freundes bat der Lord sodann die deutschen Regierungen „dem unbedachten
Eifer des Bundestags einen Zügel anzulegen und die Annahme von Maß-
regeln zu verhindern, welche nur allzu wahrscheinlich zu Erschütterungen
und zum Kriege führen müßten.“ Zugleich warnte Lord Erskine in München
dringend vor den Sechs Artikeln, namentlich vor der Bundeskommission,
welche die Landtage überwachen sollte.*) Diese Heuchelei mußte die deutschen
Höfe um so widerwärtiger berühren, da der König von England selbst als
König von Hannover bereitwillig bei den letzten Bundesbeschlüssen mit-
gewirkt hatte. Der ehrliche Welfe bekundete auch seine Unzufriedenheit
mit Palmerstons Haltung so deutlich, wie es einem parlamentarischen
Schattenkönige möglich war; sendete eben jetzt den Guelfenorden an
Münch und Nagler, ausdrücklich zum Dank für ihre Verdienste um die
Sechs Artikel.
Fast noch verdächtiger erschien die Haltung der französischen Diplo-
maten, die überall mit den Engländern Hand in Hand gingen. Mortier
in München, ein prahlsüchtiger, leichtfertiger Chauvinist, und der junge
Reinhard in Dresden wiederholten den alten Rheinbundsgenossen beständig,
daß Frankreich bereit sei, sie wider die Tyrannei ihrer deutschen Vor-
münder zu schützen; Mortier unterstand sich sogar, gegen die Befestigung
von Germersheim Einspruch zu erheben. Wenn darauf Werther in Paris
oder Jordan in Dresden sich beschwerten, dann hieß es stets, die jungen
Diplomaten hätten ihre Weisungen überschritten.**) Gleichwohl führte
Sebastiani selbst in seinen vertraulichen Unterredungen mit dem bayrischen
Gesandten ganz die nämliche Sprache wie Mortier, und sein Amtsblatt
brachte aus der Feder des alten Bonapartisten Bignon einen Aufsatz, der
die Sechs Artikel für nichtig erklärte, alle Leidenschaften der rheinbün-
dischen Zeiten wieder aufzuwiegeln versuchte. Und dazu das rätselhafte
Treiben der zahlreichen französischen Agenten am Rhein, die nur zuweilen
einmal auf Umwegen den deutschen Höfen eine Warnung zukommen ließen.
Sollten diese Leute die deutschen Demagogen überwachen oder ihnen helfen
oder auch beides zugleich tun? Niemand wußte es. Nach solchen Erfah-
rungen hielten beide deutsche Großmächte für geboten, die englische Zu-
dringlichkeit gründlich abzufertigen.
Als der Geschäftsträger Abercrombie dem preußischen Minister die
Depesche Palmerstons vorlas, da erwiderte Ancillon mit ungewohnter
Schärfe: er wolle ein für allemal das absichtliche oder unabsichtliche Vorur-
teil zerstören, als obdie zwei Großmächte Deutschland beherrschten; in Frank-
*) Küsters Berichte, 18., 21. Sept. 1832.
*“) Ancillon an Küster, 11. Juni, 25. Aug.; Jordans Bericht, 8. Aug., 5. Sept.
1832 usw.