Flugschriften der Radikalen. 293
ihres Verfahrens gar keinen Anstoß und ließ ihrer Weisheit seinen vollen
Beifall aussprechen.“)
So war der letzte Sturm auf die Sechs Artikel abgeschlagen. Nur
die Wissenschaft stritt sich noch lange über die rechtlichen Grenzen der
Bundesgewalt. Viele namhafte Publizisten beteiligten sich an diesen Kämp-
fen: Wangenheim, K. H. Hofmann und Gruben, Pfizer selbst und seine
Landsleute Wurm und Reyscher. Aber feste rechtliche Grundsätze wußte
niemand zu finden, denn sie waren unfindbar. Die Theorie des Bundes-
rechts mußte ebenso unfruchtbar bleiben wie die praktische Bundespolitik.
Der Widerspruch zwischen der absolutistischen Zentralgewalt und den land-
ständischen Verfassungen der Gliederstaaten ließ sich durch wohlgemeinte
Doktrinen nicht lösen, und seit der Bundestag sich in eine gesamtdeutsche
Polizeibehörde verwandelt hatte, kamen alle Grundgedanken des Bundes-
rechts ins Schwanken. Für einen Staatenbund konnte diese Föderation
kaum noch gelten, und ebenso gewiß war sie kein geordneter Bundesstaat. —
Extreme Parteien verfallen selten in Kleinmut, sobald sie sich in
einer aussichtslosen Minderheit sehen; die Regel ist, daß sie durch das
Gefühl ihrer Schwäche zu keckeren Reden, zu dreisteren Wagnissen auf-
gestachelt werden. Je weniger die Liberalen mit ihrem Einspruch gegen
die Sechs Artikel ausrichteten, um so schärfer sonderte sich die kleine radi-
kale Partei von ihnen ab; sie schaute mit Hohn auf den gesetzlichen Wider-
stand und baute nur noch auf die Macht der Faust. Derweil Wirth,
Miller und andere Festgenossen durch prahlerische Schilderungen der großen
Volksfeier „den Hambacher Geist“ wach zu halten suchten, warfen die
Straßburger Drucker immer neue Brandschriften über den Rhein: die
Neue Welt, die Hausbibliothek für das deutsche Volk und ähnliche Mach-
werke, die sich allesamt in unflätigen Schimpfreden gegen die Esels-
streiche der deutschen Fürsten ergingen und den nahe bevorstehenden Kampf
ankündigten. In gleichem Sinne sprachen der Rastatter Garnier und
der anonyme Verfasser der Flugschrift „das betrogene Baden“. Sauerwein
in Frankfurt schrieb ein Abcbuch der Freiheit in jenem jüdisch witzeln-
den Stile, der durch Heine und Börne in die Mode gekommen war;
er schloß mit einer Verherrlichung der roten Mütze. Ein in der Frank-
furter Gegend verbreitetes Flugblatt „Empörung“ von Herold kündigte
den Gemäßigten offen den Frieden auf: „Alle Bücher und Reden über
Reform, Legalität und gesetzlichen Weg sind bloß gelehrtehochstilisierte Feig-
heit. Während die promovierten Philister Toaste brachten auf Fürstenwort
und Bürgerfreundlichkeit, haben die gekrönten Meuchler Ränke geschmiedet,
Dolche geschliffen, Gift gemischt und Mörder gedungen: Wiener Diplo-
*) Ancillon, Weisung an Salviati, 31. März 1833.