Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

294 IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten. 
matenstücke, Berliner Kabinettsbeschlüsse, Frankfurter Protokolle, Potsdamer 
Kasernenpuppen und österreichische Soldknechte. Aber wir waren darauf 
gefaßt. Die große Oper: Volksrache! wird aufgeführt in allen Residenzen, 
und in Frankfurt die Ouvertüre. Von Mund zu Mund geht jetzt ein 
kräftiger Wort, als alle Landtagskammern und Zeitungsblätter uns liefer- 
ten: Fürsten zum Land hinaus! Das ist die große Parole, und unser 
einzig Gebet ist: Herr, gib uns unser täglich Schrot! Auf laßt uns be- 
ginnen! Der Herr hat uns zu Schnittern gemacht, die giftigen Königs- 
blumen abzumähen!“ 
Was Herold in wüsten Drohungen herauspolterte, war nur der 
kräftige Widerhall jener radikalen Schlagworte, mit denen Börne in seinen 
Pariser Briefen um sich warf; der war jetzt schon so weit, daß er in 
seiner hämischen Weise den ehrlichen Rotteck für eine alte Vettel erklärte, 
die nur den Demagogen spiele, um ihren schlechten Büchern Absatz zu 
verschaffen. Gewandter, aber noch frecher redete Heine in dem Vorworte 
zu seinen „Französischen Zuständen“. Erstaunlich, wie dieser vaterlands- 
lose Jude gleich einem Chamäleon beständig die Farbe wechselte, ohne seine 
angestammte orientalische Eigenart jemals aufzugeben. Wie er einst den 
Glauben seines Volkes verlassen und gleichwohl beharrlich den verfolgten 
Juden gespielt hatte, so ward er jetzt durch die Diners, die Grisetten 
und die Zeitungsphrasen der Pariser dermaßen bezaubert, daß er sich 
gänzlich in einen Franzosen verwandelte; er ließ fortan seine Schriften 
meist in beiden Sprachen zugleich erscheinen und lebte sich in die welsche 
Empfindungsweise so gelehrig ein, daß Thiers ihn mit Recht „den geist- 
reichsten Franzosen seiner Zeit“ nennen konnte. Dabei bewahrte er doch 
in dem stillen Winkel seines Herzens, der noch deutsch geblieben war, die 
Sehnsucht nach dem Traumlande seiner Jugend und meinte sich noch 
immer berechtigt, als Deutscher zu seinem verratenen Heimatlande zu 
reden. Über „diese grandiose Stadt, wo alle Tage ein Stück Weltgeschichte 
tragiert wird“, redete er mit einer knechtischen Untertänigkeit, als ob jeder 
Pariser Lumpensammler die Blüte der Menschheit darstellte; sachlich 
wußte er freilich nichts weiter vorzubringen, als seichtes Feuilleton- 
geschwätz und die landesüblichen törichten Schmähungen gegen die Politik 
Casimir Periers. Auch „unsere heimische Misere“ betrachtete er durch 
die Brille der Pariser Radikalen. Während die französische Presse Tag 
für Tag nach den natürlichen Grenzen verlangte, und die deutschen 
Patrioten, mit Ausnahme einer Handvoll legitimistischer Heißsporne, schlech- 
terdings nur an die Verteidigung ihrer vaterländischen Grenzen dachten, 
stellte Heine mit gewohnter Verlogenheit die Dinge auf den Kopf: er 
schilderte dies unschuldige, friedfertige Frankreich, wie es beständig durch 
den künstlich aufgestachelten Nationalhaß der dummen Teutonen bedroht 
würde, und wollte auf der Welt keine Nationen mehr sehen, sondern nur 
noch zwei Parteien: die Aristokratie und die Partei der Vernunft. Das
	        
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