322 IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten.
königtum und der nur gegen die Schwachen mutige Palmerston wagten
ihn offen zu verhöhnen.
Und wie verderblich wirkte der Anblick deutscher Schwäche auf die
Gesinnung der deutschgebliebenen Lützelburger. Das Völkchen konnte in
jenem Beschlusse der Londoner Konferenz, der ihr Heimatland zerteilte,
nur ein salomonisches Urteil, in dem geduldig zuwartenden Deutschland
nur die Rabenmutter sehen. Neun Jahre lang hatte man sich an die
belgische Verwaltung gewöhnt; was Wunder, daß die guten deutschen Klein-
bürger in Diekirch, Wasserbillig, Grevenmachern die Wiedervereinigung
mit dem freien Belgien ersehnten? Auch die Stadt Luxemburg war
belgisch gesinnt, denn sie hatte zwar an der preußischen Garnison viel
Geld verdient, aber noch mehr gelitten durch die Absperrung von der
Nachbarschaft. Selbst Minister Türckheim, der nicht leicht einen Bundes-
beschluß tadelte, fand es unbegreiflich, daß der Bundestag diese Grenz-
bewohner gewaltsam mit dem Wunsche erfülle, „dem Lose der Verwesung
zu entgehen, welchem die Stagnation des Bundes alle Verhältnisse, welche
sie umfaßt, entgegenführt.“) Außerdem bestand noch, wie in Belgien
selbst, eine kleine Partei von Fransquillons, die mit Frankreich buhlte,
und eine Partei stillvergnügter Partikularisten, die am liebsten für sich
bleiben wollten. Eine deutsche Partei bestand nicht. Die Besitzer der
großen Bergwerke und Fabriken wünschten zwar freien Verkehr mit ihrem
natürlichen Absatzgebiete im Osten; da und dort saß wohl auch ein junger
Anwalt, der sich in Bonn oder Heidelberg deutsche Ideen angeeignet hatte.
Sonst erklang im Lande nur Hohn und Spott über alles deutsche Wesen.
Preußen allein ward gefürchtet, aber als ein Feind. Die schwarzweiße
Fahne auf den Festungswällen Luxemburgs, die doch zum Schutze des
Landes dort aufgerichtet stand, erschien jetzt dem Volke als das Feldzeichen
der Tyrannei, nachdem sie neun Jahre hindurch der Trikolore von Brabant
den Einzug gewehrt hatte. Ohnehin war der paritätische deutsche Staat
diesem bigott-katholischen Volke, das alljährlich am Pfingstdienstage den
widerlichen Mummenschanz der Echternacher Springprozession aufführte,
von alters her verdächtig, und der mächtige, noch ganz von hispanischen
Gedanken erfüllte Klerus versäumte nicht, diese Gesinnung aufzustacheln.
Verachtung gegen den deutschen Namen und Haß gegen Preußen — das
war die Saat, welche der Bundestag auf den Boden dieses altdeutschen
Grenzlandes streute. Sie ging üppig auf und wuchert fort bis zum
heutigen Tage. —
Seit dem Sommer 1832 war entschieden, daß Deutschland wieder
ganz der Politik der Ostmächte angehörte, und nirgends ward dies Er-
starken der alten Gewalten freudiger begrüßt als in Petersburg. Stolz
*) Türckheim an Blittersdorff, 3. August 1835.